Michael Ludwig als amtierender Bürgermeister und Landeshauptmann hat seine erste Wahl geschlagen, nachdem Langzeitbürgermeister Michael Häupl (1994-2018) die Politik verlassen hatte. Er konnte zwei Prozentpunkte zulegen, was ihm Stärke und der Wiener SPÖ Stabilität verleiht.
Mit großer Spannung wurde insbesondere das Ergebnis der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) erwartet. Wien galt spätestens seit der Parteiübernahme durch Heinz-Christian Strache im Jahr 2005 als Hochburg der FPÖ – anders als noch unter Jörg Haider, der in Kärnten sein Zuhause als Landeshauptmann hatte. Nach dem Debakel rund um Ibiza und dem Parteiausschluss des langjährigen Parteiobmanns Strache aufgrund von mutmaßlichen Finanzskandalen sowie des Abgangs des ehemaligen Wiener Parteichefs Johann Gudenus aus der Politik stand die Wiener FPÖ mit einer relativ kopflosen Führung da und ließ den farblosen Dominik Nepp als Parteiobmann in den Wahlkampf gehen.
Da Strache zwischenzeitlich gemeinsam mit loyalen Mitgliedern seiner Partei einem eigenen Wahlbündnis zur Wahl antrat, wurde die FPÖ doppelt geschwächt. 2015 mit 30 Prozent noch zweitstärkste Partei konnte die FPÖ nun gerade einmal sieben Prozent einfahren und ist damit auf Platz fünf zurückgefallen. Strache hat mit seiner Liste Team HC nicht einmal den Einzug ins Wiener Parlament geschafft. Das rechtsextreme Lager ist damit so geschwächt wie noch nie zuvor. Die FPÖ verliert nicht nur einen Großteil ihrer Mandatare samt finanzieller Ressourcen, sondern auch prestigeträchtige Positionen wie die nichtamtsführenden Vizebürgermeisterposten. Das wirft auch für die auf Bundesebene so gebeutelte FPÖ Fragen auf. Interne Machtkämpfe um die Führung bahnen sich an – mit dem FPÖ-Landeshauptmann in Oberösterreich, Manfred Haimbuchner, der zuletzt bei der kurzlebigen Koalitionsregierung von ÖVP und FPÖ leer ausgegangen ist und mittelfristig die Machtfrage stellen könnte.
Aber auch für andere Parteien stellen sich größere Fragen. Da Wien mit seinen beinahe zwei Millionen Einwohnern die einzige urbane Großbevölkerung neben den weiteren knapp sieben Millionen Einwohnern Österreichs bildet, ist gerade die Hauptstadt für nicht-konservative Parteien von Bedeutung. Wien gilt nicht nur als der rote Hauptfeind der türkisen ÖVP unter der Führung von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Sie ist auch die einzige rot-grüne Hochburg, die für eine gesellschaftlich offene, urbane Bevölkerung steht.
Mit der Stärke von knapp 42 Prozent und einem Zugewinn von zwei Mandaten (von insgesamt 100) hat die Wahl der SPÖ Wien nicht nur Bedeutung für die Hauptstadt. Sie könnte einerseits die seit 2010 bestehende Koalition mit den Grünen weiterführen und damit eine Politik der relativen Stärke aber auch einer erstarkenden grünen Bewegung fortsetzen. Schlussendlich haben beide Parteien insgesamt einen Zugewinn von knapp fünf Prozent zu verrechnen. Ein Nichteinbinden der Grünen, die mit 14,8 Prozent auf Platz drei gelandet sind, könnte vor allem auf Bundesebene schlechte Auswirkungen für die Partei haben. Denn dort koalieren sie mit den Christdemokraten, die vor allem im menschenrechtlichen Bereich ihren Juniorpartner zu zermürben drohen – was eines von mehreren Kernthemen der Grünen darstellt. Ohne Wien hätten die Grünen kaum eine progressive Politik in diesem Bereich vorzuweisen. Und die Wiener Grünen, die einer Koalition mit der türkisen ÖVP auf Bundesebene am kritischsten gegenüberstehen, könnten dann einige Unruhe in die Bundesebene hineinbringen.
Mit dem wichtigsten bundespolitischen Player, der türkisen ÖVP, scheint eine Koalitionsbildung ohnehin am wenigsten wahrscheinlich zu sein. Die ÖVP hat einen Gutteil der Wählerschaft von der FPÖ abgezogen, während der Großteil der FPÖ zuhause geblieben ist. Das steht auch für das stärker nach rechts gerückte Profil der ÖVP, das in zentralen Fragen nicht mehr von der rechtsextremen FPÖ zu unterscheiden ist. Auch wenn die ÖVP ihren Wahlerfolg feiert: Es war nicht schwer, von dem historisch schlechtesten Ergebnis aller Zeiten für die ÖVP im Jahre 2015 (acht Prozent) auf mehr als 20 Prozent zu wachsen.
Da bleiben noch die NEOS, eine Schwesternpartei der FDP, die aus der ÖVP hervorgegangen ist, im soziokulturellen Bereich meist aber liberalere Haltungen einnimmt. Sie ist mit einem wenig bekannten Spitzenkandidaten angetreten und versucht mit dem Slogan nach mehr Kontrolle der sehr mächtigen SPÖ-Wienregierung zu trumpfen. Die SPÖ könnte einerseits mit genau dieser Devise nach mehr Transparenz eine solche ins Boot holen, um diese Kritik zu reduzieren. Zugleich würden die regierungstechnisch weniger erprobten NEOS, die gerade mal auf sieben Prozent gekommen sind, ein leichteres Spiel für die SPÖ Wien sein. Während die Grünen in den letzten beiden Legislaturperioden schon einiges dazugelernt haben. Inhaltliche Schnittmengen der NEOS mit der SPÖ sind aber vor allem im Sozialbereich weniger vorhanden.
Am Ende bleibt noch ein bitterer Nachgeschmack für die Demokratie. Während bereits im Vorfeld beklagt wurde, dass ein großer Teil der Wiener Bevölkerung – ca. ein Drittel – nicht wahlberechtigt ist, gaben rund 435.000 Menschen keine oder eine ungültige Stimme ab. Diese Gruppe bildet damit die größte. Die SPÖ erhielt als stärkste Partei 294.000 Stimmen. Wer immer auch mit der SPÖ koalieren will: Ein Auftrag nach mehr Mitbestimmung in der Stadt der Menschenrechte, die eine umfassende Teilhabe ihrer Bewohner an Entscheidungsprozessen zu fördern trachtet, sollte für jede Partei gelten.