Emmanuel Macron und Marine Le Pen, die in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 10. April in Frankreich die meisten Stimmen auf sich vereinen konnten, standen sich in der zweiten Runde am 24. April gegenüber. Bekanntermaßen wurde Macron im zweiten Wahlgang, bei dem die Wahlbeteiligung bei 72 Prozent lag, mit 58,54 Prozent der Stimmen erneut zum Präsidenten gewählt. Seine Gegnerin, die rechtsextreme Marine Le Pen, erlangte 41,46 Prozent der Stimmen und unterlag Macron erneut. Damit bricht in Frankreich die zweite Macron-Ära an.
Was uns das Wahlergebnis zeigt
Die Ergebnisse der Stichwahl vom 24. April verdeutlichen vor allem, dass Macrons Popularität in den letzten fünf Jahren signifikant gesunken ist, wohingegen die Rechtsextreme Le Pen ihre Popularität steigern konnte. Wenn man bedenkt, dass Macron 2017 im zweiten Wahlgang 66 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, während seine Rivalin Le Pen bei 34 Prozent der Stimmen verblieb, zeigt sich jetzt, dass Le Pen den Abstand zu Macron in fünf Jahren von 32 Prozent auf 17 Prozent verringern, also halbieren konnte.
Dabei ist besonders zu unterstreichen, dass sich die französischen Wählerinnen und Wähler im zweiten Wahlgang nicht für Macron entschieden haben, weil sie wirklich an ihn glaubten, sondern weil sie Le Pen als Präsidentin verhindern wollten. Mit anderen Worten, die zusätzlichen 30 % für Macron, der im ersten Wahlgang noch 28 Prozent der Stimmen erhalten hatte, gehören denen, die gegen Le Pen sind und nicht unbedingt für ihn. So erklärt sich auch Macrons Aussage am Wahlabend, wonach „viele Menschen für mich gestimmt haben, um die extreme Rechte zu verhindern“.
Die Präsidentschaftswahlen 2022 unterstreichen deutlich, dass die französische Gesellschaft derzeit noch keine rechtsextreme Führungspersönlichkeit an der Spitze des Staates sehen will. Die Tatsache, dass Le Pen den Stimmenabstand zu Macron um die Hälfte verringern konnte und nunmehr 42 Prozent erreicht hat, zeigt aber auch, dass die extreme Rechte der Macht einen Schritt näher gekommen ist. Insofern scheint es evident, dass Le Pen bei den nächsten Wahlen die Macht übernehmen kann, es sei denn, es gelingt den Mitte-Rechts- bzw. Mitte-Links-Parteien, einen oder mehrere starke Kandidaten gegen sie in Stellung zu bringen. Insofern kann die Präsidentschaftswahl 2022 auch als erstes Signal einer nahenden Machtübernahme durch rechtsextreme Kräfte in Frankreich gewertet werden.
Macrons Prioritäten
Auf der Agenda für die kommende Amtszeit von Präsident Macron stehen drei wichtige Themen. An der Spitze steht dabei die hohe Inflation. Nach den vom französischen Nationalinstitut für Statistik am 31. März 2022 bekanntgegebenen Daten stiegen die Verbraucherpreise in Frankreich aufgrund des durch den Russland-Ukraine-Krieg verursachten Anstiegs der Energie- und Lebensmittelpreise um 4,5 Prozent. Dies sorgte im Vorfeld der Wahlen in der französischen Gesellschaft für Unmut. Aus diesem Grund bemühte sich die Macron-Administration, die Gunst der Bürger zu gewinnen, indem sie vor der Wahl den Mindestlohn um 2,5 Prozent erhöhte. Da sich die Inflation jedoch weiterhin im Aufwärtstrend befindet, wird Macron zunächst versuchen, dieses Problem in den Griff zu bekommen, so wie er es vor der Wahl versprochen hatte.
Ein weiteres wichtiges Thema auf Macrons Agenda für die neue Amtszeit ist der Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Macron, der vor Kriegsbeginn erfolglos versuchte, zwischen Moskau und Kiew zu vermitteln, wird sich allem Anschein nach in der vor ihm liegenden Periode intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen. Wie sehr, verdeutlichte Macron in einer Rede, die er vor dem zweiten Wahlgang vor einer Gruppe von Journalisten hielt. Dabei argumentierte er, die europäischen Länder seien gezwungen, den Dialog mit Putin zu suchen, und warnte gleichzeitig, andernfalls würden die Akteure zur Wiederherstellung des Friedens in Europa außereuropäische Mächte sein, etwa die Türkei oder China. Diese Aussage zeigt, dass Macron die Mission, den tobenden Krieg zu beenden, nicht der Türkei überlassen will und deshalb wohl in Kürze eine neue Initiative zur Vermittlung zwischen Russland und der Ukraine als Alternative zu den Gesprächen in Istanbul starten wird.
Mit dem Ende der Präsidentschaftswahlen beginnt Macron nunmehr unverzüglich mit den Vorbereitungen für die nationalen Parlamentswahlen, die im Juni dieses Jahres stattfinden. Bei dieser für Macrons Partei LREM entscheidenden Wahl könnte es bei einem Misserfolg in der neuen Periode zu Problemen zwischen Legislative und Exekutive kommen, wenn es ihr nicht gelingt, sich die Mehrheit zu sichern. So könnte dann auch der innenpolitische Handlungsspielraum des Präsidenten eingeschränkt werden. Aus diesem Grund setzt Macron quasi ohne Verschnaufpause den Wahlkampf für die nationalen Parlamentswahlen fort, die in der französischen Öffentlichkeit bereits als "dritter Wahlgang" wahrgenommen werden.
Die Zukunft der muslimischen Gemeinschaft in Frankreich
In Bezug auf die Zukunft der muslimischen Gemeinschaft in Frankreich in der zweiten Macron-Ära sei daran erinnert, dass Macron vor dem zweiten Wahlgang Folgendes sagte: „Ich möchte kein Frankreich, das die Muslime daran hindert, so zu essen, wie es ihnen ihre Religion vorgibt“ und sich damit offensichtlich bemühte, die Gunst der Muslime im Land für sich zu gewinnen. Denn trotz dieser augenscheinlich positiven Aussage fällt das Zeugnis für die erste fünfjährige Amtszeit Macrons mit den von ihm zu verantwortenden islamfeindlichen Handlungen aus Sicht der Muslime schlecht aus. Zahlreiche politische Entscheidungen, etwa das Verbot der betäubungslosen Schlachtung von Geflügel nach islamischen Ritus, die Einrichtung einer Telefon-Hotline zur Bekämpfung einer sogenannten islamischen Radikalisierung oder zuletzt das Gesetz zur Stärkung der Achtung republikanischer Werte, das es dem säkularen Staat erlaubt, in das Privatleben der Muslime im Land einzugreifen, gehören zu den anti-islamischen Praktiken der (ach) so „erfolgreichen“ Macron-Ära. Folgerichtig ist auch in der zweiten Amtszeit Macrons damit zu rechnen, dass diese Praktiken fortgesetzt und gar um neue ergänzt werden. Dies wiederum sorgt aus Sicht der muslimischen Gemeinschaft für Pessimismus.