Der aktuelle Wahlkampf reflektiert innenpolitische Spaltungen. Es geht um ideologische Orientierungen, die Wirtschaft und wieder einmal um Muslime und die Identität der französischen Republik.
Aktuellen Umfragen zufolge hat Marine Le Pen, Vorsitzende der rechtsextremen Partei Rassemblement National, in den vergangenen Wochen stark an Unterstützung gewonnen. Es ist derzeit wahrscheinlich, dass sie dem amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron im zweiten Wahlgang in zwei Wochen begegnen wird. Damit würde sich das Szenario der Präsidentschaftswahlen von 2017 wiederholen.
2017 gewann Macron gegen Le Pen. Viele seiner Stimmen verdankte er Wählern, die verhindern wollten, dass eine offen rechtsradikale Politikerin ins höchste Amt im Staat gewählt wird.
Doch ist die innenpolitische Situation in Frankreich heute nicht mehr die gleiche.
Macrons Rechtsruck
Macron, der sich anfangs als liberal und politisch in der Mitte präsentierte, hat sich während seiner Amtszeit politisch weiter nach rechts orientiert. Während er bei den Wahlen im Jahr 2017 noch, zumindest rhetorisch, den Populismus Le Pens konfrontierte, hat sich während seiner Amtszeit einiges geändert. Tatsächlich unterstellte Macrons Innenminister Darmanin sogar Marine Le Pen, zu „soft“ dem Islam gegenüber zu sein.
Die islamfeindliche Rhetorik Macrons hat das gesellschaftliche Klima im Land beeinflusst. Muslime hat er regelmäßig als Gefahr dargestellt und den Islam als Religion angegriffen. Verschiedene Formen des Rassismus, die tief in Frankreichs Kolonialideologie verankert sind, wurden offen politisch umgesetzt. Gesetze, welche die bürgerlichen Freiheiten von Musliminnen und Muslimen einschränken, wurden als demokratische und laizistische Maßnahmen zur Stärkung des Rechtsstaates präsentiert. Mehrere Moscheen in Frankreich wurden geschlossen. Die westliche Faszination mit dem Kopftuch prägt weiterhin politische Debatten.
Die antiislamische Rhetorik ist ein integraler Bestandteil der Politik Macrons
Auch wenn sich Macrons Rhetorik noch von der des rechtsextremen Kandidaten Eric Zemmour unterscheidet, zeigen die Entwicklungen der letzten fünf Jahre, dass die Position von Minderheiten in Frankreich deutlich geschwächt ist. Zemmour, der durch offene Ausländerfeindlichkeit um Stimmen wirbt und Frankreich vor einer „Islamisierung“ retten will, hat wegen seiner Äußerungen internationale Medienaufmerksamkeit erregt, liegt aktuellen Umfragen zufolge an vierter Stelle. Vor ihm, aber weit hinter Le Pen, befindet sich der linke Kandidat Jean-Luc Mélenchon, der die islamophobe Rhetorik im politischen Alltag zum Teil verurteilt hat.
Was demokratische Freiheiten betrifft, so hat sich die Situation unter Macron deutlich verschlechtert. Unabhängig vom Ausgang der Wahl werden Minderheiten in Frankreich wohl weiter mit den gleichen strukturellen Problemen konfrontiert werden.
Frankreichs Rolle in der Welt
Die rassistischen Strukturen im Inland sind eng mit Frankreichs Kolonialmentalität verbunden. Konzepte von kolonialer Kontrolle wurden auch von Macron vorangetrieben. Der amtierende Präsident versuchte Frankreichs internationale Signifikanz zu stärken und innenpolitische Krisen durch diplomatische Erfolge auszugleichen. Frankreich weigert sich weiterhin, seine Kolonialverbrechen aufzuarbeiten. Vor allem mit Algerien haben sich die diplomatischen Beziehung wegen Macrons herablassender Kommentare verschlechtert. Auch unterstützt Frankreich unter Macron autoritäre Regime, unter anderem durch Waffenlieferungen.
Während Le Pen vorgeworfen wird, dem russischen Präsidenten Putin nahezustehen, hat sich Macron in den letzten Wochen aktiv in die diplomatischen Bemühungen um den Krieg in der Ukraine involviert. Dies könnte ihm aufgrund der aktuellen Ereignisse geholfen haben, sich erneut als weltlicher Diplomat zu präsentieren. Tatsächlich hat Macron während seiner Amtszeit versucht, sich als erfolgreicher Vermittler in verschiedenen Kriegen und Krisen zu verkaufen. Nationalismus und koloniale Nostalgie prägen aber die Ideologie beider Kandidaten. Der Ausgang der Wahl in der zweitgrößten Wirtschaft der EU wird auch Konsequenzen für Europa haben. Im Gegensatz zu Le Pen ist Macron eher pro-europäisch eingestellt.
Innenpolitische Probleme
Die Wahl wird vom Krieg in der Ukraine und den damit einhergehenden wirtschaftlichen Problemen in der EU überschattet. Steigende Preise und Inflation werden wohl mit zu den prägenden Themen werden.
Innerhalb Frankreichs wird Macron stark für seine neoliberale Politik kritisiert. Während er die Privilegien reicher Franzosen ausweitete, zum Beispiel durch die Abschaffung der Vermögenssteuer, wurden soziale Mittel für wirtschaftlich Benachteiligte gekürzt. Le Pen hat diese Ungleichheiten rhetorisch für ihren Wahlkampf genutzt.
Auch die anhaltenden Massenproteste gegen die Regierung haben den gesellschaftlichen Alltag der letzten Jahre geprägt. An den als Gelbwestenbewegung bekannten Protesten gegen die Regierung Macrons nahmen Hunderttausende Bürgern teil, die verschiedene politische Änderungen forderten.
Ausschreitungen und Polizeigewalt gegen Demonstranten wurden international kritisiert. Macrons Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten wurden von Menschenrechtsorganisationen wiederholt angeprangert.
Das Klima, in dem die aktuellen Wahlen stattfinden, ist von Krisen und Ungewissheiten geprägt. Auch wenn sich die Kandidaten in ihren Wahlprogrammen unterscheiden, wird es strukturell kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen derer kommen, deren gesellschaftliche Benachteiligung unter der Regierung Macrons zugenommen hat. In der Rhetorik des französischen Nationalismus und Laizismus gibt es wenig Differenz zwischen den Kandidaten. Vor allem ethnische und religiöse Minderheiten werden dies wohl weiterhin spüren.