Gaza als Modell des normalisierten Völkermords
Der andauernde Genozid in Gaza wird im westlichen Diskurs normalisiert und als Kampf gegen den Terror gerechtfertigt. Die Unterstützung für Israel ebnet den Weg für dessen koloniale Gewalt, die sich in der Region ausbreitet.
Gaza als Modell des normalisierten Völkermords / Foto: AA (AA)

Das israelische Regime intensiviert in diesen Tagen seinen Krieg gegen den Libanon. Mehr als 1,2 Millionen Menschen wurden allein in den vergangenen zwei Wochen innerhalb des Libanon vertrieben, mehr als zweitausend getötet, während das israelische Militär die massenhafte Bombardierung des Landes, inklusive der Hauptstadt Beirut, fortsetzt. Auch Syrien und das israelisch besetzte Westjordanland sind Ziele kontinuierlicher israelischer Angriffe.

Ein Jahr nach der Eskalation des andauernden Genozids in Gaza hat das israelische Regime seine Gewalt in der Region signifikant und aggressiv ausgeweitet. Die Absenz jeglicher Intervention seitens der internationalen Gemeinschaft in Gaza und die fanatische Unterstützung, die die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten, vor allem Deutschland, der rechtsradikalen Netanjahu-Regierung bieten, führen momentan zu einer unaufhaltsamen Ausbreitung des Krieges in der Region.

Unaussprechliche Gewalt

Dass Benjamin Netanjahu den Krieg auf die Region ausweitet, sollte keine Überraschung sein. Seit einem Jahr zerbombt das israelische Regime erbarmungslos den völkerrechtswidrig besetzten Gazastreifen.

Die Zahl der Opfer, die aufgrund der anhaltenden israelischen Angriffe kontinuierlich steigt, wird auf mehr als 40.000 Menschen geschätzt. Doch Experten weisen darauf hin, wie schwierig es ist, unter diesen Umständen Daten zu erheben. Laut einem Bericht von Khatib, McKee und Salim, veröffentlicht im Frühjahr in der Fachzeitschrift The Lancet, ist die Zahl der gemeldeten Todesfälle wahrscheinlich zu niedrig angesetzt. Es sei nicht unplausibel, von mehr als 186.000 Todesfällen auszugehen.

Es ist wohl unmöglich, die katastrophale Zerstörung Gazas in Worte zu fassen. Bereits am 6. Oktober war das Jahr 2023 das tödlichste für Palästinenser. Gaza, dessen Bevölkerung mehrheitlich aus Flüchtlingen aus anderen Orten Palästinas besteht, denen Israel seit 1948 die Rückkehr verweigert, litt bereits jahrelang unter einer illegalen und brutalen Abriegelung der Grenzen durch Israel. Bereits im vergangenen Jahrzehnt betonten Menschenrechtsorganisationen, dass der Gazastreifen unbewohnbar sei.

Seit dem 7. Oktober 2023 hat Israel nahezu die gesamte Bevölkerung innerhalb Gazas vertrieben. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung leiden an Hunger, während sich Krankheiten ausbreiten – auch weil das Gesundheitssystem zerstört wurde. Fast eintausend Familien wurden komplett ausgelöscht, da Israel jedes einzelne Familienmitglied getötet hat.

Völkermord als „Kampf gegen den Terror”

In den vergangenen Tagen hat das israelische Regime seine Angriffe auf Gaza weiter intensiviert. Dass es dem israelischen Regime möglich ist, diesen Völkermord ohne jegliche Intervention und Konsequenzen weiter fortzuführen, liegt vor allem an der rassistischen Entmenschlichung der palästinensischen Bevölkerung.

Zwar gibt Israel zum Teil vor, diesen Krieg gegen die Widerstandsorganisation Hamas zu führen. Doch ist der politische Diskurs in Israel von einem klar artikulierten Vorsatz zum Völkermord und Hassreden geprägt, die das gesamte palästinensische Volk als legitimes Ziel des Krieges identifiziert. So äußerte der israelische Präsident Herzog bereits zu Beginn des Krieges, dass „eine ganze Nation verantwortlich” sei. „Diese Rhetorik, dass Zivilisten nichts davon wussten und nicht beteiligt waren, ist absolut nicht wahr,“ sagte Herzog. Verteidigungsminister Joaw Gallant ordnete damals eine vollständige Belagerung des Gazastreifens an und kündigte an: „Es wird keinen Strom, keine Nahrungsmittel, keinen Treibstoff geben, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und handeln dementsprechend.“ Auch Netanjahu bedient sich oft religiöser Rhetorik, um das brutale Vorgehen in den Palästinensergebieten zu rechtfertigen. Das dadurch aufgebaute Feindbild umrahmt das palästinensische Volk als Ganzes.

Dieses Narrativ ist nicht neu. Sie ist zentral im Kolonialismus und verfolgt das Ziel, Gewalt gegen die indigene Bevölkerung zu rechtfertigen. Sie war schon immer fester Bestandteil des israelisch-kolonialen Diskurses, der die palästinensische Bevölkerung zum Teil als nicht menschlich, Insekten, oder Tiere definiert hat, um ihre Vernichtung zu rechtfertigen.

Als Resultat wurden Palästinenser vor allem im westlichen Diskurs als „Terroristen“ wahrgenommen, die nicht nur eine Gefahr für das israelische Regime, sondern für die Welt darstellen. Völkermord wird dann als legitimer Akt der Selbstverteidigung im Kampf gegen den Terror gerechtfertigt.

Rechtfertigungen und Ausreden

Im dominanten Politik- und Mediendiskurs im Westen wird der Genozid nicht nur normalisiert. Er wird teilweise durch die Terror-Narrative enthusiastisch angefeuert. Vor allem die USA haben einen diplomatischen Diskurs um einen angeblichen „Waffenstillstand“ konstruiert, während sie weiterhin militärische Infrastruktur und Ressourcen für diesen Genozid bereitstellen. Damit garantieren sie die Kontinuität des Genozids, während sie Israel vor möglichen Konsequenzen schützen.

Warum sollte Israel also mit der Gewalt aufhören, wenn es die uneingeschränkte Unterstützung der USA und vieler europäischer Regierungen genießt, die Israel auch vor jeglichen moralischen und rechtlichen Konsequenzen schützen? Was ist überhaupt die Bedeutung des internationalen Rechts, wenn es auf brutalste Weise verletzt und ignoriert werden kann?

Ausweitung des Krieges

Das Netanjahu-Regime hat wiederholt, auch vor dem 7. Oktober, dem Libanon mit Krieg gedroht und angekündigt, Beirut in Gaza zu verwandeln und den Libanon in die Steinzeit zu bomben, sollte Hezbollah in den Krieg intervenieren.

Natürlich begann die andauernde Katastrophe nicht erst am 7. Oktober. Während der Nakba 1948 wurde die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung aus ihrer Heimat vertrieben. Israel wurde durch eine ethnische Säuberung gegründet, die vor allem von israelischen Historikern dokumentiert wurde. Auch der Libanon war in den vergangenen 76 Jahren oftmals Ziel israelischer Angriffe. Teile des Landes wurden fast zwei Jahrzehnte durch Israel besetzt. Die heutige Situation muss in dem Kontext der konstanten kolonialen Expansion Israels verstanden werden.

Die Rechtfertigung für die andauernden israelischen Angriffe auf den Libanon wurde – genauso wie die zahlreichen Waffen für diese Angriffe – bereits im Voraus vom Westen bereitgestellt. Auch sie folgt der gleichen kolonialen Logik wie der Völkermord in Gaza. Während das israelische Militär in diesen Tagen den Süden Libanons und Teile der libanesischen Hauptstadt Beirut zerstört, Damaskus bombardiert, und die Luftangriffe in Gaza im Namen der westlichen Zivilisation intensiviert, kann es sich weiterhin auf die Unterstützung des Westens freuen.

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