Als ich 2013 zum Unterricht nach Angola reiste, investierte ich zuvor noch 250 Euro in Impfungen. Vor der Passkontrolle am Flughafen in Luanda prüfte der Zollbeamte sehr genau meinen gelben WHO-Impfpass, den ich seit 1973 mit mir führe. „Der Impfpass als der neue Reisepass“ ist auch ein Kapitel in meinem Buch „Die Mobilitätswende“. Aber ob nun Reisen nur als Geimpfter möglich ist oder man weiter testen muss, in Quarantäne nach Auslandsreisen, weil man vielleicht doch „Virenschleuder“ sein könnte – fix ist offenbar nix. Das große Versprechen, dass mit der Impfung die Rückkehr in eine Normalität möglich ist, ist aus vielen Gründen nicht zu halten.
Versagen der EU – extra Impfpass wozu
Die Gefahr eines Impfnationalismus wurde als Menetekel an die Wand gemalt. Um all dem Versagen der EU-Spitze im Umgang mit der Pandemie 2020 mit der ersehnten einen Stimme entgegenzutreten, wurde Impfstoff gemeinsam bestellt. Ungarn kaufte auch bilateral Serum und wurde als unsolidarisch gerügt. Nun wollen aber immer mehr EU-Staaten eigene Kaufverträge, ohne die Zulassung durch die EU-Gesundheitsagentur EMA abzuwarten. Österreich und die Slowakei gehören dazu. Im Fokus steht der russische Impfstoff Sputnik V, der bereits im August 2020 von der russischen Forschung und Präsident Vladimir Putin präsentiert wurde. Erst das Wissenschaftsjournal „The Lancet“ machte dieses Serum salonfähig, seither wächst die Nachfrage.
Impfskepsis gehört in vielen EU-Staaten fast zum guten Ton: je wohlhabender und gebildeter, umso kritischer gegenüber Impfungen. Die höchsten Durchimpfungsraten haben Länder wie Bangladesch oder Ruanda, denn den Menschen ist das Leid infolge Infektionskrankheiten bewusst. Es galt also, diese etablierte Impfskepsis v.a. in Deutschland zu überwinden. Angesichts der heftigen Restriktionen wich diese Haltung beinahe einer Impfeuphorie. Doch die Widersprüchlichkeiten zu Nebenwirkungen, Resistenzen bei mutierten Viren und Altersgruppen führten zum Aussetzen der Impfungen. Die EU-Gesundheitsbehörde musste ausrücken und wieder beruhigen. Doch viele Kommunen widersetzen sich den Empfehlungen. Zurück bleibt viel Konfusion, wie es weitergehen soll, welches Serum wofür geeignet sei. Indes will die EU-Kommission einen eigenen grünen Impfpass einführen, der nur diese Impfung enthalten soll. Zu Recht kritisiert die WHO dieses Ansinnen, denn es erodiert den universell gültigen gelben WHO Impfpass, der digitalisiert noch mehr Impfsicherheit und Kontrolle bietet.
Die Humanmedizin sackt im Vergleich zur Tiermedizin geradezu ab. Denn ein Veterinär stellt das Serum nach Gewicht, Alter und Statur des Tieres ein, oft werden zuvor noch die Antikörper kontrolliert. All dies fällt bei den großen Impfkampagnen für die Menschen weg, aber nicht nur hier. Die Hoffnung auf eine Rückkehr in die Arbeit und ein Ende des nationalen Hausarrests treibt aber die Menschen verständlicherweise an, sich die beiden Teilimpfungen zu holen. Manche begeben sich je nach Mitteln auf Impftourismus, ob in den arabischen Golfstaaten oder Serbien. Belgrad bietet eine Auswahl an Impfstoffen und hat eine effektive Gesundheitsverwaltung aufgestellt. Hier tobte vor rund 20 Jahren ein Krieg, doch manches funktioniert besser als in den Föderalsystemen Deutschland und Österreich. Infolge fragwürdiger Verträge durch die EU-Kommission, wo die Krämerseelen immer schon dominierten, auch in der sogenannten geopolitischen Kommission unter Ursula von der Leyen, wurde lieber gerechnet als reflektiert. So stehen für die vielen Impfwilligen zu wenige Impfdosen zur Verfügung.
Anders verhält es sich in Großbritannien, wo dem Brexit nicht die von Brüssel angekündigte Apokalypse folgte. London organisierte eine reibungslose Impfversorgung der Bevölkerung. In diesen Tagen sperrt das Wirtschaftsleben wieder auf, während Deutschland und Österreich im endlosen Lockdown verharren. Winston Churchill hätte den Erfolg seines Bewunderers Premier Boris Johnson, dessen Vorfahre übrigens letzter Innenminister im Osmanischen Reich war, wohl als eine „finest hour“ des Königreichs quittiert.
Was passiert im Rest der Welt?
Weder gelingt es den EU-Regierungen, die eigene Bevölkerung mit ausreichend Impfserum zu versorgen, wobei die Schuldzuweisungen in alle Richtungen gehen, aber meist an die Adresse der EU-Kommission, die zu wenig, zu spät und nicht eine größere Auswahl von Impfstoffen bestellt hatte. Solange der afrikanische Kontinent und viele andere Weltregionen aber nicht mit Impfserum versorgt werden, bringt offenbar ein Durchimpfen, wo auch immer, wenig. Wir sind in einer interdependenten Welt der Migration. Zwar hat US-Präsident Joe Biden der WHO-Initiative Covax vier Milliarden Dollar zugesagt, praktische Hilfe in Form von Serum-Lieferungen ins Ausland erfolgte bisher aber nur sporadisch. In den USA produzierter Impfstoff bleibt derzeit in den USA – auch wenn Washington betont, es gebe keine Exportbeschränkungen. Die Gründe dafür liegen in den Verträgen, die zwischen US-Regierung, Militär und Pharmafirmen geschlossen wurden. Bevor die Hersteller exportieren dürfen, müssen sie ihre Verpflichtungen gegenüber Washington erfüllen.
Anders praktizieren es Russland, China und auch Indien, die Impfserum entwickeln, produzieren und exportieren. Nun wird deren Impfdiplomatie oft kritisch beäugt, doch anders als Brüssel engagieren diese sich für eine globale Impfversorgung. Die Pandemie ist nicht Ursache, sondern Verstärker von Entwicklungen. Die Welt verändert sich und dies nun rascher als gedacht. Die EU wird in der Postpandemie eine andere sein, wie auch globale Allianzen neu entstehen.