Die Anfänge des Hofdolmetschers
Das Interesse an und der Kontakt mit den Kulturen und Sprachen des Ostens setzte in Europa im 17. Jahrhundert ein. So wie heutzutage insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene gerne in englischsprachige Länder reisen, so erkundeten im 17. Jahrhundert vornehmlich europäische Reisende den Orient, da sie an Literatur, Sprache und Geschichte des Orients interessiert waren. Es galt als „prestigeträchtig“, eine „orientalische“ Sprache zu beherrschen, da man/frau dadurch in der Lage war, tief in die reiche und fantasievolle literarische Welt des Orients einzutauchen – dem „zweiten Italien“, wie es der österreichische Schriftsteller Hans Lohberger (1920-1979) ausdrückte. Aus diesem Grund legte die deutschsprachige Welt des 17. Jahrhunderts ein besonderes Augenmerk auf die persische Literatur.
Nach und nach wurden zahlreiche ins Deutsche übersetzte persische Werke im Westen veröffentlicht. Als Pionier bei der Übersetzung von Werken aus dem Orient ins Deutsche gilt der 1774 in Graz geborene Orientalist und Übersetzer Joseph von Hammer-Purgstall. Hammer besuchte das Gymnasium Theresianum , wurde mit nur 15 Jahren an der Orientalischen Akademie in Wien zum Hofdolmetscher ausgebildet und konnte neben Italienisch, Französisch, Latein und Griechisch auch fließend Arabisch, Persisch und Türkisch sprechen, lesen und schreiben.
In zahlreichen Reiseberichten schreibt er über seine Eindrücke, die von historischem wie auch poetischem Interesse sind. In seinem Buch „Zeichnungen auf einer Reise von Wien über Triest nach Venedig, und von da zurück durch Tyrol und Salzburg aus dem Jahre 1798“ schildert er seine Reiselust mit den Worten „Möchte mir mein Schicksal Gelegenheit zum Reisen geben, solange ich noch Augen zum Sehen und Fähigkeit zu lernen habe! (...) Seit dem Augenblicke, da ich aus den Toren des prächtigen Wien hinausgerollt bin und die ländliche Luft geatmet habe, ist meine ganze Seele, meine ganze Beschauungskraft rege geworden …“
Seine Reiseberichte setzte er fort, als er als „Sprachknabe“ (Attachè) 1799 nach Istanbul kam, wo er in der österreichischen Botschaft arbeitete. Er verfasste Berichte über seine Reisen durch Anatolien und Griechenland, übersetzte zahlreiche Werke des Orients, darunter „Tausendundeine Nacht“ sowie 33 Bände eines Ritterromans, und publizierte drei Gedichtsammlungen und selbstgeschriebene historische Theaterstücke. Nach einem einjährigen Aufenthalt in Ägypten wurde er 1802 zurück nach Istanbul versetzt, wo er bis 1806 blieb und den Namen Yusuf Efendi annahm.
Als die Franzosen 1808 Wien besetzten und Bibliotheken wie auch Museen plünderten, rettete Hammer einen Teil der in der Hofbibliothek befindlichen Manuskripte aus dem Orient. 1825 besuchte er die wichtigsten Bibliotheken in Italien, um orientalische Schriften ausfindig zu machen.
Seine Sommer verbrachte Hammer im oststeirischen Schloss Hainfeld, dem Besitztum des Grafen Purgstall. Dort schöpfte er Inspiration für seine Werke, etwa den dreibändigen Roman „Die Gallerin auf der Riegersburg“. Nach dem Tod des Grafen Purgstall erbte Hammer 1835 den adeligen Namen, das Familienwappen, den materiellen Besitz sowie das Schloss Hainfeld.
Während der Ära Metternich hatte er einen Nebenposten in der Staatskanzlei inne, durfte jedoch sein Amt nicht ausüben, da er als zu „liberal und intellektuell“ galt, um als österreichischer Diplomat arbeiten zu können. Vermutlich durfte er deswegen nicht arbeiten, weil er sich nicht an die vorgegebene Zensur hielt. Auf Wunsch Metternichs endete seine Tätigkeit als Hofdolmetscher 1839, worauf Hammer sich ins Schloss zurückzog, wo seine Autobiographie entstand und er bis 1848 Einfluss auf die Revolutionskämpfer ausübte.
Hammer, der „Erschließer des Ostens“
Nach den Worten Hans Lohbergers ist Hammer „der erste österreichische Orientalist, der geistige Bahnbrecher und Erschließer des Ostens“. In Hammers Augen eignete sich vor allem die persische Literatur hervorragend dafür, ins Deutsche übersetzt zu werden. So übersetzte Hammer den gesamten „Diwan“ (ein poetisches Gesamtwerk aus 900 Gedichten) von Hafis, dem größten Dichter der persischen Sprache und publizierte ihn 1812 in seinem selbstgegründeten Magazin „Die Fundgrube des Orient“ (1809-1818). Seine zahlreichen Übersetzungen der östlichen Literatur waren eine wahre Fundgrube und eine Inspirationsquelle unter anderem für Friedrich Hegel und Johann Wolfgang von Goethe, wobei Letzterer besonders beim Schaffensprozess seines Werks „West-östlicher Divan“ davon profitierte.
Es war ein besonderes Anliegen für Hammer, dass die Politiker im Westen das Osmanische Reich verstehen müssten. In seinem zehnbändigen Werk „Geschichte des Osmanischen Reiches“ und seiner Publikation „Des Osmanischen Reiches Staatsverfassung und Staatsverwaltung“ beschrieb er – im Gegensatz zu den meisten Orientalisten seiner Zeit – eindrucksvoll und vorurteilsfrei innere Strukturen, das soziale Leben, Traditionen, Kultur, Architektur, Orte und Landschaften. „Die Geschichte des Osmanischen Reiches“ gründet auf einer archivbasierten Bibliographie, die sowohl türkische als auch europäische Schriften in der Originalsprache umfasst. Somit gilt sein Werk als erste große Synthese westlicher und östlicher Quellen. Er übersetzte „Seyahatname“ (Das Buch der Reisen) von Evliya Celebi, dem berühmtesten Reisenden des Osmanischen Reiches, ins Englische. Des Weiteren übersetzte er türkische Gedichte, darunter die des berühmten Poeten Baqi, und publizierte sie im Rahmen einer vierbändigen Geschichte der osmanischen Poesie. Mit derselben Ausführlichkeit übersetzte er die wichtigsten arabischen Texte, darunter Suren aus dem Koran. In „Fundgruben des Orients“ veröffentlichte Hammer 1811 „Die letzten vierzig Suren des Korans. Als eine Probe einer gereimten Uebersetzung desselben“.
Dank seines intensiven Engagements kam es 1847 zur Gründung der Akademie der Wissenschaften, zu deren Präsidenten er ernannt wurde. Um seine orientalischen Studien in der Akademie fortsetzen zu können, dankte er 1849 als Präsident ab, ging jedoch als Mitglied der Akademie seinen wissenschaftlichen Tätigkeiten weiterhin nach.
Das Erbe Hammers fortbestehen lassen
Bis zu seinem Tod 1856 übersetzte und schrieb Joseph von Hammer-Purgstall unermüdlich weiter, als wolle er jede Sekunde seines Lebens nutzen, um wertvolles Wissen als sein Erbe zurückzulassen.
Hammer war der erste Orientalist, der nicht nur „über“ den Orient und die „orientalischen Subjekte“ schrieb, sondern auch mit diesen in engem Kontakt und Austausch stand und somit „für“ sie schrieb.
Sein unermüdlicher Eifer, sich stets Wissen anzueignen, die Kulturen des Ostens kennenzulernen und zu verstehen, machen Joseph von Hammer-Purgstall zu einem einzigartigen Gelehrten und Orientalisten der Geschichte. Er war ein unersetzlicher Brückenbauer zwischen dem Westen und dem Osten – eine Eigenschaft, die heutzutage leider den meisten Orientalisten/Orientalistinnen und besonders PolitikerInnen abgeht.
Dieser außergewöhnliche Mensch, dessen Name leider nur noch den wenigsten ÖsterreicherInnen ein Begriff ist, und der unbeachtet auf dem Friedhof von Weidling in Klosterneuburg (Niederösterreich) ruht, hat es verdient, in Geschichtsbüchern des deutschsprachigen Raumes sowie des Orients ausführlich erwähnt zu werden. Vor allem junge Menschen sollten sich ein Vorbild an ihm nehmen, um sich in Zeiten des Spaltens auf Verstehen und Vereinen zu besinnen.
Vor seinem Tod am 23. November 1856 hatte Hammer bereits seinen Grabstein im osmanischen Stil in den 10 Sprachen, die er beherrschte, anfertigen lassen. Ganz so, als wolle er uns noch nach seinem Tod darauf aufmerksam machen, dass diese unterschiedlichen Sprachen und Kulturen im Grunde nur zu einem Ziel hinführen: durch den Respekt vor Gottes vielfältiger Schöpfung ewigen Frieden zu erlangen.