Das „System-Kurz“ ist gegen die Wand gefahren
Mit seinem Rücktritt zog der österreichische Bundeskanzler die Konsequenzen aus den gegen ihn angestrengten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Seinen Parteivorsitz gibt er nicht auf. Er wird versuchen, das System im Hintergrund weiterzuführen.
07.10.2021, Österreich, Wien: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf dem Weg zu einem Gespräch mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Hofburg. Nach Hausdurchsuchungen des Kanzleramts und des ÖVP-Hauptsitzes am 06.10.2021, wegen schwerer Korruptionsvorwürfe gegen Bundeskanzler Kurz, haben sich die Grünen gegenüber ihres Koalitionspartners scheinbar auf Distanz begeben. (DPA)

Es wurde schon lange darüber gemunkelt, wie lange die praktizierte, „System-Kurz“ genannte Vetternwirtschaft, in der Bundeskanzler Sebastian Kurz wohl eine zentrale Rolle spielt und die schon über einen längeren Zeitraum der Republik schadet, ohne Konsequenzen fortdauern könnte, da sie augenscheinlich sogar darauf abzielte, ihre Nutznießer vor Strafverfolgung zu schützen. Dass dieses „System-Kurz“ dann jedoch so rasant gegen die Wand fahren würde, war so nicht abzusehen. Diesen Prozess des grandiosen Scheiterns haben wohl auch die Berichterstattung der vom Staat offensichtlich alimentierten sogenannten Mainstream-Medien, allen voran gegen die muslimische Bevölkerung des Landes, und das damit begründete falsche Regierungshandeln beschleunigt. Ein weiterer wichtiger Grund für die Fehleinschätzung war wohl auch, wie Falter-Chefredakteur Florian Klenk treffend feststellte, dass insbesondere die ÖVP unter Federführung von Kanzler Kurz versuchte, Pressevertretern das Zitieren aus Ermittlungsdokumenten zu verbieten und sich dafür in der Koalitionsregierung mit den Grünen bemühte, ein Gesetz mit dem Ziel zu verabschieden, Ermittlungen durch die Justiz in staatlichen Einrichtungen zu verhindern. Nur die energischen Gegenreaktionen von zahlreichen Meinungsführern im Land konnten dieses Vorhaben von Kurz und Konsorten glücklicherweise verhindern. Dabei ist schlussendlich zu konstatieren, dass mit Beginn der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft für Wirtschaft und Korruption (WKStA) und dem heutigen Rücktritt als vorläufigem Höhepunkt Sebastian Kurz mit seinem System gegen die Wand gefahren ist.

Es sei daran erinnert, dass nachdem die WKStA Durchsuchungen im Bundeskanzleramt, im Finanzministerium und in der Parteizentrale der ÖVP mit ihrem Vorsitzenden Kurz zwecks Ermittlungen wegen des Tatverdachts der Korruption, Bestechung und Täuschung des Volkes angeordnet hat, aus einer an die Öffentlichkeit gerichteten Erklärung klar wurde, dass gegen zehn Personen, darunter auch Bundeskanzler Kurz, ermittelt wird und im diesem Zusammenhang Mobiltelefone der Tatverdächtigen beschlagnahmt wurden. Dabei stehen im Zentrum der Ermittlungen vor allem Korruptionsvorwürfe basierend auf gezielten staatlichen Inseratenschaltungen bei ausgewählten Medienhäusern als Gegenleistung für positive Berichterstattung zugunsten der ÖVP und Kurz sowie die Bestechung von Meinungsforschungsunternehmen, um ÖVP und Kurz in den Umfragewerten „nach vorne“ zu puschen.

Sicher ist, dass wir Zeuge eines historischen Prozesses in der österreichischen Politik werden. Abgesehen vom Rücktritt des Bundeskanzlers als Folge der aktuellen Ermittlungen droht ihm auch eine richterliche Befragung mit nicht absehbaren rechtlichen und auch politischen Konsequenzen, da die Opposition ihm vorwirft, bei einer Anhörung im Parlament eine Falschaussage getätigt zu haben. Mit gleicher Sicherheit kann festgestellt werden, dass Ex-Bundeskanzler Kurz moralisch gesehen am Tiefpunkt steht. Dabei war es Kurz in der Vergangenheit doch gelungen, sich ebenso wie der frühere Vorsitzende der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und Vizekanzler der ÖVP-FPÖ Regierung, Heinz-Christian Strache, als „Saubermann“ gegen das Establishment als „ehrlicher Politiker“ zu positionieren. Zu diesem Zeitpunkt, so scheint es - übrigens genau wie damals bei Strache - haben ihn ausgerechnet seine eigenen vollmundigen Kraftsprüche eingeholt. Wie sich die politische und juristische Zukunft von Kurz nach seinem Rücktritt fortentwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Wie reagierte die österreichische Politik auf diese Entwicklungen?

Es ist offensichtlich, dass die anhaltenden Entwicklungen dem internationalen Ansehen Österreichs geschadet haben und weiter schaden. Für das Land ist es äußerst bedauerlich, dass kurze Zeit nach der Ibiza-Affäre, in der der ehemalige Vizekanzler Strache die Hauptrolle spielte, nunmehr auch Bundeskanzler Kurz mit besonders delikaten Vorwürfen wie „Falschaussage“ oder „Medienbestechung“ konfrontiert ist.

Ob die ÖVP-Granden, die sich noch in den letzten Tagen geschlossen hinter ihren Vorsitzenden gestellt haben und daran festhalten, die Vorwürfe als „politisch motiviert“ abzutun, weiter so agieren, werden die kommenden Tage zeigen.

Als die Nachricht der neuerlichen Ermittlungen an die Öffentlichkeit gelangte, kam damals die erste Reaktion vom grünen Koalitionspartner in Person von Vizekanzler Werner Kogler, der zunächst das Fortbestehen der Regierung unterstrich. Doch kurze Zeit später änderte Kogler seine Meinung und lud alle im Parlament vertretenen Parteien zu einer gemeinsamen Beratung ein.

Die Oppositionsparteien im Parlament (SPÖ, FPÖ und NEOS) forderten schon zu diesem Zeitpunkt einstimmig Kanzler Kurz zum sofortigen Rücktritt auf.

Vertreter der außerparlamentarischen Opposition erinnerten gleichzeitig daran, dass der in ähnlicher Weise angeklagte H.C. Strache zurückgetreten sei und sein Amt niedergelegt habe. Dabei riefen sie ein Zitat von Kurz in Erinnerung, dass er damals in Richtung Strache ausgesprochen hatte, wonach er „nicht mehr mit einem Regierungsmitglied zusammenarbeiten könne, gegen das die Polizei ermittelt.“

Mögliche Entwicklungen in der österreichischen Politik

Sebastian Kurz hat mit seinem am Samstag verkündeten Rücktritt die politischen Konsequenzen aus den Ermittlungen gezogen. Er wird nicht nur als jüngster Bundeskanzler in die politische Geschichte der Republik Österreich eingehen. Es wird auch davon ausgegangen, dass er den von Ednan Aslan vor den Wahlen 2017 veröffentlichten Bericht zu den „Islamischen Kindergärten“ mit Mitarbeitern aus seinem Stab in seinem Sinne manipuliert hat.

Noch schlimmer für Kurz ist vielleicht, dass er der einzige Bundeskanzler ist, der durch ein Misstrauensvotum abgesetzt wurde. Mit dem heutigen Rücktritt hat er möglicherweise verhindert, dass ihn dieses Szenario in den kommenden Tagen mit einem neuerlichen Misstrauensvotum ein weiteres Mal ereilt und er damit einen weiteren traurigen Rekord aufgestellt hätte.

Auch wenn jetzt noch nicht absehbar ist, wie die Regierungsbildung in den kommenden Tagen gestaltet werden soll, ist jetzt schon klar, dass wir uns erstmals nach vielen Jahren einer Situation gegenübersehen, auf die Sebastian Kurz wohl keinen Einfluss mehr nehmen kann. Dabei kann es durchaus sein, dass die ÖVP-Verantwortlichen ebenfalls kurzfristig über das weitere Schicksal von Kurz entscheiden werden. Denn obwohl sie ihrem Vorsitzenden zwar noch demonstrativ den Rücken stärken, müssen sie Konsequenzen ziehen, wenn sich die Verdachtsmomente gegen Kurz erhärten und sich herausstellt, dass er seiner Partei geschadet hat.

Die anberaumten Treffen des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen mit den anderen Parteichefs dienen in diesem Zusammenhang nicht der Imagepflege des Landes, sondern sind dem Bemühen geschuldet, mit Blick auf die Folgen des Ibiza-Skandals nicht mit zweierlei Maß zu agieren.

Mit seinem Rücktritt kam Ex-Bundeskanzler Kurz den Bemühungen der Oppositionsparteien zuvor, ihn, wohl auch mit den Stimmen der Grünen, zu stürzen. Mehr als diesen kleinsten gemeinsamen Nenner können die im Parlament vertretenen Parteien derzeit nicht bieten. Mit dem Rücktritt von Bundeskanzler Kurz und der vorläufigen Übernahme der Amtsgeschäfte durch Außenminister Schallenberg wird Österreich bis zu den anstehenden Neuwahlen entweder von einer Technokratenregierung oder einer tolerierten Minderheitsregierung regiert werden.

Eigentlich wollte keine der im Parlament vertretenen Parteien vorgezogene Neuwahlen. Dennoch kann man sagen, dass die Grünen hier die komfortabelste Ausgangslage haben. Trotz nunmehr zweijähriger Regierungsbeteiligung rangieren sie in den Meinungsumfragen immer noch auf dem vierten Platz, weil es der Partei teilweise wohl immer noch an Selbstbewusstsein mangelt. Einerseits gibt die Schwäche der SPÖ-Führung den Grünen die Chance, eine gute Alternative auf dem linken Flügel zu sein. Andererseits ergibt sich die Möglichkeit, dass sich wegen des Imageschadens der ÖVP, die nach der FPÖ jetzt selbst im Sumpf der Korruption feststeckt, Wähler aus der Mitte den Grünen zuwenden. Diese Szenarien werden die nächsten Schritte der Grünen bestimmen.

Ob und wie es für Kurz in seiner ÖVP weitergeht, werden die kommenden Stunden zeigen. Die FPÖ konnte den Entwicklungen nach dem Skandal um H. C. Strache jedenfalls nicht standhalten. Ob es die ÖVP kann, sei dahingestellt.

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