30 Jahre Chodschali-Massaker: Verdrängt, verschwiegen, vergessen!
Wenn die Rede von Chodschali ist, zeigen sich alle führenden Redaktionen Deutschlands gleichgültig und abweisend, die tragischen Ereignisse jener entsetzlichen Nacht zu beleuchten und Opfern wie Überlebenden eine Stimme zu geben.
30 Jahre nach Massaker von Chodschali. (AA)

Chodschali! Eine einst von Aserbaidschanern bewohnte kleine Ortschaft in der Konfliktregion Bergkarabach im Südkaukasus. Wie kaum eine andere steht diese Bezeichnung als Symbol für eine grausam durchgeführte und massenhafte Ermordung unbewaffneter und unschuldiger Zivilisten unter Missachtung aller gültigen Regeln des Völkerrechts. In der eisigen Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1992 stürmten die zahlenmäßig überlegenen und gut bewaffneten armenischen Einheiten mit Hilfe des zu diesem Zeitpunkt in der Region stationierten 366. motorisierten sowjetisch-russischen Infanterieregiments Chodschali, wo sich noch gut 2000 Bewohner, hauptsächlich Ältere, Frauen und Kinder aufhielten, denen es nicht gelungen war, rechtzeitig zu fliehen. Sie alle waren dem Mordkommando der Armenier schutzlos ausgeliefert. In weniger als zwei Stunden wurden über 600 Zivilisten brutal massakriert. Von den mehr als 1200 Gefangenen fehlt bis heute jede Spur. Die ganze Ortschaft wurde bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Human Rights Watch klassifizierte das Blutbad als das „größte zivile Massaker“ des ersten Bergkarabachkriegs. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial dokumentierte Dutzende Fälle von Kriegsverbrechen, unter anderem Leichenschändungen. Die Tragödie hat sich als das größte Trauma tief ins kollektive Bewusstsein der Aserbaidschaner eingegraben und prägt bis heute das Leben der wenigen Überlebenden.

Aus den Augen, aus dem Sinn!

Heute, 30 Jahre danach, will in Armenien keiner etwas von Chodschali wissen. Sämtliche Diskussionen über die Aufarbeitung der Geschehnisse sind Tabu und etwaige Vorstöße in diese Richtung verpönt. Politisch-gesellschaftliches Schuldbewusstsein: Fehlanzeige. Im Gegenteil werden Hauptdrahtzieher, Organisatoren und Vollstrecker wie die ehemaligen Staatspräsidenten Robert Kotscharjan und Sersch Sargsjan, aber auch Monte Melkonjan, einer der Anführer der berühmt-berüchtigten armenischen Terrororganisation ASALA, als Helden glorifiziert und das Massaker an den Zivilisten selbst als tugendhafte Ehrentat der armenischen Nation gewürdigt.

Umso unerträglicher ist das hartnäckige und willentliche Schweigen westlicher Menschenrechtsaktivisten*innen und Medienvertreter*innen zu diesem Verbrechen. Insbesondere im deutschsprachigen Raum fand das Thema bis dato außer wenigen zaghaften Ausnahmen praktisch kaum Beachtung. Menschenrechte, die von deutschen Journalisten*innen sonst stets so hochgepriesen werden, scheinen im Falle von Chodschali an Bedeutung zu verlieren. Warum? Mangelndes Interesse? Fehlender Mut? Beides, würde ich sagen! Hinzu gesellt sich noch der religiöse Faktor. Allen voran steht die deutschsprachige Mainstream-Medienlandschaft paradigmatisch für eine gezielte Diskriminierungs- und Ausgrenzungstaktik, wenn es sich um Gewalttaten von „Christen“ gegen „Muslime“ handelt. Nur ein kurzer Blick auf die extrem tendenziöse Berichterstattung über den Bergkarabachkonflikt offenbart dies eindeutig. Es heißt immer wieder: Ein Konflikt zwischen den „christlichen Armeniern“ und „muslimischen Aserbaidschanern“. Dass die Religion in diesem Fall kaum eine Rolle spielt und der Konflikt ethnisch-territorialer Natur ist, wird ignoriert und die Tatsachen im propagandistischem Stil bewusst ins Gegenteil verkehrt. Wenn die Rede von Chodschali ist, zeigen sich alle führenden Redaktionen gleichgültig und abweisend, die tragischen Ereignisse jener entsetzlichen Nacht zu beleuchten und den Opfern sowie den Überlebenden eine Stimme zu geben.

Auch die deutschen Menschenrechtsorganisationen, die sich stolz Menschenwürde, Toleranz und Solidarität auf die Fahnen geschrieben haben, zeichnen sich durch ihre auffallend selektive Gesinnung aus. In all den Jahren ist man auf keine einzige nennenswerte Erklärung von Amnesty International, dem Deutschen Institut für Menschenrechte e.V. und Co. gestoßen, mit der Armenien für seine Schreckenstat in Chodschali ansatzweise hätte verurteilt werden können, geschweige denn auf Kritik an der völkerrechtswidrigen Annexion von Bergkarabach und der Vertreibung von bis zu 1 Million Aserbaidschanern aus ihren Heimatorten.

Unwille, armenische Verbrechen anzusprechen

Die fehlende Verurteilung Armeniens im Zusammenhang mit zahllosen Unrechtstaten im ersten Bergkarabachkrieg Anfang der 1990er Jahre ist die eigentliche Achillesferse der deutschen Menschenrechts- und Medienkultur. Beinahe jede manipulative Berichterstattung über den Bergkarabachkonflikt impliziert die traditionelle, jedoch völlig deplatzierte Erwähnung des „Völkermords an den Armeniern“, um einerseits keinen Zweifel am jahrzehntelang gepflegten Opfermythos der Armenier zu lassen, andererseits die massenhafte Tötung von Zivilisten wie in Chodschali zu relativieren und zum Selbstverteidigungsakt der „ersten christlichen Nation der Welt“ (zit. Deutsche Medien) zu stilisieren. In dieser Art fungieren deutsche Medien und Menschenrechtler fast wie ein Propagandainstrumentarium des armenischen Außenministeriums, welches vordergründig zum Ziel hat, die Meinungsbildung der Massen gezielt zu steuern. Die aserbaidschanische Sichtweise findet dagegen kaum Gehör.

Das erste Opfer eines Kriegs ist bekanntlich immer die Wahrheit. Man sollte in diesem Zusammenhang den meisten Medienvertretern und Menschenrechtlern im deutschsprachigen Raum eine ernstzunehmende Dekadenz konstatieren, die ständig dazu tendieren, unangenehme Wahrheiten zu verschweigen bzw. zu leugnen. Chodschali ist eines von unzähligen Opfern einer selbstgefälligen und scheinheiligen Attitüde, die sich wie ein roter Faden durch alle führenden Medienanstalten und Menschenrechtsorganisationen zieht. Es besteht bedauerlicherweise wenig Hoffnung, dass sich an der vom Eurozentrismus und Interessen geleiteten Geisteshaltung, bei der Objektivität und Wahrheitsfindung kaum einen Wert haben, in der Zukunft etwas ändern könnte. Dabei gaukeln uns ausgerechnet diese „Gerechtigkeitsapologeten“ vor, Menschenrechte seien universell und hätten keine Nationalität oder Rasse.

Meinungsbeiträge geben die Ansichten des jeweiligen Autors und nicht die der Redaktion wieder. Für Anfragen wenden Sie sich bitte an: meinung@trtdeutsch.com