von Emre Bölükbaşı
Muhammad Iqbals Begabungen und Fähigkeiten beschränkten sich nicht nur auf ein Gebiet: Er war sowohl Dichter als auch Politiker, Philosoph und Rechtswissenschaftler. Doch vor allem als „geistiger Vater“ Pakistans stieg „Allama“ (Hochgelehrter) Iqbal in einer für Muslime sehr schwierigen Zeit zu einer weltweit bekannten Persönlichkeit auf. Sein Ziel: Er wollte einen Umbruch in der islamischen Welt herbeiführen, um diese zu früheren, glorreicheren Zeiten zurückfinden zu lassen.
Iqbal, der als einer der bedeutendsten muslimischen Philosophen der Neuzeit gesehen wird, genießt auch außerhalb von Pakistan Popularität. Insbesondere in der Türkei erfreut er sich einer großen Beliebtheit, der auch hauptsächlich seine Wertschätzung des Osmanischen Reiches und der Türken zugrunde liegt.
Iqbal als Brücke zwischen Ost und West
Die Biographie und der Charakter Iqbals illustrieren dabei eine Art Aufeinandertreffen der östlichen und westlichen Welten. Zweifelsohne war einer der Hauptgründe hierfür die ambivalente Zeit, in der der Denker am 9. November 1877 zur Welt kam: Geboren in Britisch-Indien unter der Herrschaft von Kolonialherren, lebte Iqbal das Leben einer klassisch muslimisch geprägten Familie. Als Kleinkind lernte er die arabische Sprache und studierte den Koran – als Student an der Universität in seiner Heimat konzentrierte er sich hauptsächlich auf die Philosophie.
„Allama“ Iqbal begnügte sich jedoch nicht mit der Kenntnis der Welt, in die er hineingeboren wurde. Angetrieben von den Werken seines Philosophielehrers Sir Thomas Arnold in Lahore begab er sich auf eine Reise in die westliche Welt. Nach einem Studium am Trinity College der University of Cambridge machte er sich auch schließlich auf den Weg nach Deutschland, um an der Ludwig-Maximilians-Universität in München seinen Doktortitel in der Philosophie zu erlangen.
Die Bedeutung Deutschlands lag für Pakistans „geistigen Vater“ auch in seiner großen Begeisterung für Johann Wolfgang von Goethe. Sein Interesse für den Dichter ging gar so weit, dass er 1923 das Buch „Payam-i Maschriq“ (Botschafts des Ostens) veröffentlichte, in dem er auf Goethes „West-östlichen Divan“ antwortet. In einem Abstand von etwa 200 Jahren schlugen damit sowohl Goethe als auch Iqbal jeweils Brücken vom Morgenland zum Abendland.
Nach der Rückkehr in seine Heimat im Jahr 1908 wurde Iqbal auch politisch aktiv und setzte sich für Muslime ein. Die Gründung Pakistans 1947 konnte der im Jahr 1938 verstorbene „geistige Vater“ des Landes jedoch nicht miterleben.
Türken als Inspirationsquelle für Iqbal
Für den Kampf um einen unabhängigen Staat für Muslime in Indien betrachtete Allama Iqbal insbesondere einen Staat als Vorbild: das Osmanische Reich. Im erbitterten Widerstand der Türken gegen die Angreifer während des Ersten Weltkriegs sah Iqbal eine Inspirationsquelle für die Verfolgung der Ziele der Muslime in Indien.
„Ist ein Berg der Trauer auf die Osmanen gefallen, so sei nicht traurig: Denn die Sonne scheint nicht, bis hunderttausend Sterne erloschen sind“, schrieb der Dichter, um Muslime weltweit vor dem Hintergrund der äußerst schwierigen Lage des Osmanischen Reiches im Weltkrieg zu motivieren.
Dass Pakistans Nationaldichter das Kriegsgeschehen und den Widerstand der Türken stets mit großer Anteilnahme beobachtete, zeigen auch andere Werke. Dabei fällt insbesondere die Glorifizierung der osmanischen Kriegsgefallenen auf. 1911 trug er in Lahore auf einer Veranstaltung ein Gedicht vor, das großen Widerhall fand: In seinem Werk „Vor dem Propheten“ schildert er eine hypothetische Situation, in der der Sprecher des Gedichts auf den Propheten Muhammad trifft. Als dieser den Dichter fragt, was er ihm als Geschenk mitgebracht habe, bringt Iqbal seinen großen Respekt vor den türkischen Kriegsopfern zum Ausdruck: Er habe dem Propheten einen Behälter mit dem Blut der Gefallenen von Trablusgarp (Tripolitanien) mitgebracht und dieses als „den Stolz seiner Umma“ bezeichnet.
Auch während des Türkischen Befreiungskrieges hielt Iqbals Unterstützung an. Er gilt als einer der Initiatoren jener Kampagne, in deren Rahmen tausende Muslime im damaligen Indien Spenden zur Unterstützung der Türken einsammelten.
Die islamische Welt: Sehnsucht und Hoffnung
Untersucht man die Schriften und Gedichte Iqbals, sticht ein Element deutlich hervor: die „klassisch“ östliche Sehnsucht nach einer Zeit, in der alles einst besser für die muslimische Welt gelaufen sei. Die britische Kolonialherrschaft in seiner Heimat und ein fehlender souveräner Staat für die dortigen Muslime trafen den Denker stets sehr.
In seinem 1936 erschienenen Gedichtbuch „Was soll nun getan werden, oh ihr Völker des Ostens“ zeigt sich exemplarisch der Frust „Allama“ Iqbals bezüglich der damaligen Situation der Muslime weltweit. „Die Menschheit leidet unter den Händen von Europa“, stellt er darin deutlich fest und richtet seinen Blick auf das Morgenland: „Was also ist zu tun, oh Völker des Ostens, damit der verlorene Ruhm des Orients wiedergewonnen wird?“
Dabei gab er die Hoffnung auf eine bevorstehende Renaissance der Muslime nicht auf – im Gegenteil: Es war seine Zuversicht, dass der Unterdrückung der Muslime weltweit ein Ende gesetzt werden könnte, die ihm den Ansporn für seine Werke gab. Aus der Sehnsucht nach einer besseren Lage der Muslime versuchte der Denker einen Weckruf für das Morgenland zu schöpfen. Die Hoffnungen für ein Erstarken der Muslime steckte er insbesondere auch in die Türken.