Am 26. Oktober 2021, nur wenige Tage vor dem 60. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens vom 30. Oktober 1961, wurde die Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Aydan Özoğuz zur Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages gewählt.
Nachdem Özoğuz bereits im Kabinett Merkel III als Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration im Rang einer Staatsministerin tätig gewesen war, hat die Tochter aus einer türkischen Unternehmerfamilie, die 1961 von Istanbul nach Hamburg gezogen war, damit bereits ihr zweites politisches Spitzenamt auf Bundesebene inne.
Anteil der Abgeordneten mit Migrationsgeschichte deutlich gestiegen
Für TRT Deutsch ein Anlass, die Frage an sie zu richten, inwieweit der Umstand, dass die mit der Bundestagswahl weiter gewachsene Zahl gewählter türkischstämmiger Parlamentarier aus ihrer Sicht eine wachsende Partizipation türkischer Einwanderer an der Willensbildung im deutschen Gemeinwesen widerspiegele – und wo es immer noch Nachbesserungsbedarf gäbe.
„Ich freue mich, dass mit nunmehr 83 Abgeordneten der Anteil der Bundestagsabgeordneten mit einer Migrationsgeschichte im Deutschen Bundestag signifikant gestiegen ist“, bekundet Özoğuz. In diesem Zusammenhang weist sie darauf hin, dass vor allem ihre eigene Partei, die SPD, in überdurchschnittlichem Maße zu einer Abbildung der gesellschaftlichen Pluralität beigesteuert habe:
„Und während in alle anderen Parteien die Zahl der Abgeordneten mit einer Migrationsgeschichte nahezu gleich geblieben ist, hat sich ihr Anteil in der SPD mit jetzt 17 Prozent fast verdoppelt.“
Bessere Vernetzung und größere Erfahrung
Dass der grüne Koalitionspartner einen Bundesminister mit Migrationsgeschichte stelle und sie selbst im Parlamentspräsidium vertreten sei, lasse 60 Jahre nach Unterzeichnung des Arbeitnehmeranwerbeabkommens mit der Türkei „eine gute Entwicklung“ erkennen.
Özoğuz sieht jedoch nicht allein die Anzahl der gewählten Abgeordneten mit Migrationsgeschichte als Ausdruck einer repräsentativeren Abbildung der Einwanderercommunitys. Bedeutsam sei insbesondere auch, dass deren zunehmende Vernetzung und Verwurzelung in Deutschland selbst diese Vertretung auch effektiver mache. Gegenüber TRT Deutsch erklärte die SPD-Politikerin dazu:
„Die neue Generation der Abgeordneten – es ist ja schon die dritte – bringt viele Vorteile mit: Sie ist hier sozialisiert und gut vernetzt, viele haben bereits beachtliche Karrieren vorzuweisen und sie können dazu beitragen, dass im Parlament Migrationsthemen wie Repräsentanz, Teilhabe und Partizipation mehr Beachtung finden und gleichzeitig selbstverständlich gelebt werden.“
Rassismus in sozialen Netzwerken nicht bagatellisieren
Özoğuz warnt jedoch davor, bei aller Freude über die bessere und selbstverständlichere Präsenz von Menschen aus der Einwanderercommunity zu übersehen, dass es immer noch starke Bestrebungen gäbe, die einem friedlichen und solidarischen Miteinander wenig abgewinnen könnten. Rassistische Akteure verfügten nach wie vor über ein erhebliches destruktives Potenzial.
„Wir dürfen aber nicht darüber hinwegsehen, welche massiven Anfeindungen es teilweise – vor allem in sozialen Netzwerken – vor allem auch gegenüber den Nachkommen von Eingewanderten gibt“, äußert sich Özoğuz gegenüber TRT Deutsch. „Hier müssen wir deutlich besser werden. Hass und Hetze sollten bei uns keinen Platz haben. Alle sollen sich an die Regeln halten und respektvoll miteinander umgehen.“