von Feride Tavus
Rudolf Hickel ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften. Er war Hochschullehrer für Finanzwissenschaften an der Universität Bremen. Seit 1975 ist er Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und gehört darüber hinaus dem wissenschaftlichen Beirat von Attac an.
Welche Lehren kann die Wirtschaft aus der Corona-Krise ziehen?
Eine Lehre gilt es grundsätzlich zu ziehen. Normalerweise entstehen wirtschaftliche Krisen unter der Dominanz der Gewinnwirtschaft durch innere Fehlentwicklungen. Es wird zu viel investiert (Überproduktionskrise) oder die Finanzmärkte geraten wie 2008 /2009 durch Spekulationsgeschäfte mit schweren Folgen für die Realwirtschaft in die Krise. Bei der Corona-Krise ist es dagegen die exogen erzeugte Pandemie, die die Politik dazu zwingt, die Wirtschaft in das künstliche Koma zu versetzen. Das hat Folgen für die Antikrisenpolitik: Die beste Vorsorge für die Wirtschaft ist der erfolgreiche Kampf gegen die Covid-19-Pandemie
Die Volkswirtschaften sind in irgendeiner Form weltweit miteinander verzahnt. Führt die Globalisierung zum Wohl der Menschen oder zur Abhängigkeit?
Gerade Deutschland hat wegen seiner hohen Exportabhängigkeit die wirtschaftlichen Wachstumsimpulse der Globalisierung nur gelobt. Schon immer war das Mantra von der für alle Wohlstand stiftenden Globalisierung falsch, denn es gab und gibt auch viele Verlierer. Durch die Corona-Krise wird ein dramatisches Problem sichtbar. Nur aus Gründen der Kostenminimierung zugunsten der Renditen sind wichtige Bereiche der Produktion Grundstoffen für lebensnotwendige Medizinprodukte, wie Antibiotika, von deutschen Pharmaziekonzernen nach China und Indien ausgelagert worden. Durch die Reduktion der Produktion und zusammengebrochene Lieferketten fehlen jetzt Medikamente der Grundversorgung in diesem Land. De-Globalisierung durch Stärkung der lokalen Produktion sollte zumindest im Bereich der Grundversorgung eines Landes mit lebensnotwendiger Medizin gesichert werden.
Wer sind die Verlierer und wer die Gewinner?
Aus deutscher Sicht sind am Ende alle direkt oder zumindest indirekt Verlierer des Corona-Regimes. Die gesamtwirtschaftliche Produktion stürzt dramatisch ab, Jobs gehen verloren und die öffentlichen Haushalte werden ärmer. Allerdings gibt es in der ersten Phase der Krise Gewinner und Verlierer. Gewinner sind die Großmarktanbieter wie beispielsweise Aldi, Lidl, Rewe, Edeka. Auch spezielle Zweige der Unternehmen und des Handwerks profitieren. Zu den Verlierern zählen die Einkommensschwachen, vor allem Familien und Alleinerziehende, aber auch die Kleinstanbieter mit inhabergeführten Geschäften. Der Tourismus verzeichnet schwere Verluste. Aber auch der Staat gehört wegen der milliardenschweren Krisenausgaben und Steuereinbußen zu den Verlierern.
Was muss die Politik vorrangig leisten, um den wirtschaftlichen Crash zu vermeiden?
Vor allem Hilfs- und Rettungsprogramme für all die Menschen und Unternehmen, die Opfer der Krise sind. Da hat die deutsche Politik bisher vieles richtig gemacht. Bewegt werden über dieses Jahr hinaus bis zu 1800 Mrd. Euro durch den Bund, die Länder und Kommunen. Derzeit gibt nur die Möglichkeit der Finanzierung über Kreditaufnahme. Die Europäische Notenbank unterstützt dies durch den Ankauf von Staatsanleihen.
Wie sieht unter den jetzigen Umständen das Worst-Case-Szenario aus?
Das Ausmaß des Absturzes der Wirtschaft und das Tempo der nachfolgenden Erholung hängt maßgeblich vom weiteren Verlauf der Corona-Epidemie ab. Die Prognosen zum Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion schwanken - je nach der Länge der Pandemie – zwischen 4 Prozent und über 20 Prozent. Ob es danach zum schnellen Aufschwung kommt, ist nicht sicher. Die beste Wirtschaftspolitik ist jetzt die Bekämpfung der Pandemie vor allem durch die Vermeidung von Rückschlägen.
Wenn wir uns das große Hilfspaket in Höhe von 1800 Milliarden Euro anschauen, hat Deutschland damit das richtige Rezept gefunden?
Ja, die Politik hat begriffen. Momentan würde eine Schuldenbremse den ökonomischen Absturz verstärken. Mit der Finanzierung von Stützungsmaßnahmen treibt der Staat keine Verschwendung. Es geht auch darum, die Basiskräfte zu stärken und die soziale Spaltung, die droht, zu reduzieren.
Welche weiteren Maßnahmen müsstenaus Ihrer Sichtergriffen werden?
Hier müssten die vielen Programme durchleuchtet werden. Natürlich es ist systemisch wichtig, Unternehmen der Mobilität, wie die Lufthansa und Deutsche Bahn, aber auch den öffentlichen Nahverkehr zu stützen. Aber auch die Kleinstunternehmer verdienen Hilfe. Plötzlich wird die Bedeutsamkeit der sozialen und kulturellen Angebote deutlich. Hinzukommen muss ein Konjunkturprogramm, mit dem der ökologische Umbau zu stärken ist.
Deutschland hat viele Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Wirtschaft zu stimulieren. Hat sie aber auch einen Plan für die Finanzierung und Rückzahlung?
In der ersten Phase erfolgt die Finanzierung durch die Kreditaufnahme. Danach muss der daraus entstandene Kapitaldienst finanziert werden. Dazu wird ein Corona-Solidarfonds eingerichtet. Bei seiner Finanzierung sind die Vermögensbesitzer an der Spitze zu beteiligen. Dazu wird eine einmalige Vermögensabgabe, die über mehrere Jahre aufzubringen ist, eingeführt. Hohe Freigrenzen dienen der gerechten Lastverteilung. Die Idee knüpft an den Lastenausgleich von 1952 an, der zur Bewältigung der Kriegsfolgelasten von der Adenauer-Regierung nach dem zweiten Weltkrieg eingerichtet worden ist.
Wie steht es um die Jobs, Löhne und Steuern?
Durch den Corona-Solidarfonds muss verhindert werden, dass am Ende die große Masse und vor allem die finanziell Schwachen die Rechnung begleichen. Die Erhöhung von Massensteuern sowie Sozialabbau und Verzicht auf öffentliche Infrastrukturinvestitionen gilt es unbedingt zu vermeiden.
Müssen Verbraucher mit steigenden Preisen rechnen?
Insgesamt ist mit einer Inflation der Güterpreise nicht zu rechnen. Auch wird es im Inland nicht zu ernsthaften Versorgungsengpässen kommen – selbst beim Toilettenpapier nicht. Im Bereich der Nahrungsmittel sind bei einigen Produkten jedoch spürbare Preiserhöhungen zu erkennen. Betroffen sind bestimmte Gemüse- und Obstsorten. Da ist die Lieferkette aus dem Süden Europas durch fehlende Erntebeschäftigte und logistische Probleme gestört. Gegen allgemeine Preiserhöhungen im Nahrungsmittelbereich steht der Nachfrageausfall der Gastronomie und Kantinen.
Mit der Corona-Krise ist die schwarze Null vom Tisch. Gerät Deutschland unter der Last der Hilfspakete nun von der einen in die nächste Krise?
Ja, die „schwarze Null“ bzw. die Schuldenbremse sind selbst durch das Virus infiziert. Zwar sieht das Grundgesetz im Fall von „außergewöhnlichen Belastungen“ (Art. 115 GG) auch Ausnahmen vor. Aber die finanzielle Dimension passt nicht zum kleinkarierten Schuldenkorsett. Übrigens fragt derzeit außer einigen neoliberalen Fundamentalisten niemand ernsthaft nach der Einhaltung der Schuldenbremse.
Haben andere Staaten bessere Lösungen zu bieten?
Andere Länder mit einem derart umfassenden und zugleich ökonomisch und sozial gezielten Instrumentarium sind mir nicht bekannt. Allerdings sollte ein Lernprozess mit den Erfahrungen in den einzelnen Ländern zumindest in der EU organisiert werden.
Deutschland ist eine Exportnation. Was wäre, wenn die Volkswirtschaften der Absatzmärkte in unterschiedlicher Geschwindigkeit voranschreiten? Bleiben die deutschen Bemühungen dann wirkungslos?
Deutschland wird sich auf eine Reduktion der Exportausrichtung einstellen müssen. Es geht nicht um eine De-Globalisierung im großen Stil, sondern um eine faire Neuordnung der internationalen Arbeitsteilung. Darin liegen große Vorteile. Deutschland muss auch ohne Corona-Krise den Export von Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Entwicklungsbelastungen in andere Länder beenden.
Könnte die aktuelle Krise also eine Chance sein, das Wirtschaftssystem zu optimieren und dabei ökologische Aspekte stärker zu fördern?
Die Corona-Krise hat die hohe Fragilität des dependenten Wirtschaftssystems unter der Dominanz von Konzernen offenbart. Chancen nutzen heißt, die Lehren, die hier angesprochen worden sind, zu ziehen. Gebraucht wird ein handlungsfähiger Staat, der sich über seine Kommunen auf die Daseinsvorsorge nicht nur im Gesundheitssystem konzentriert. Beim Neustart müssen ökologische Ansprüche gezündet werden. Wie gesagt, wenn ein Haus abgebrannt ist, wird ja auch nicht mehr das alte Gebäude gebaut. Es geht jetzt darum: „flatten the two curves“: Klimaerwärmung und Corona-Infektion.
Vielen Dank für das Interview!