Der Fachkräftemangel in Deutschland hat einer Studie zufolge „erhebliche Auswirkungen“ auf die Einstellung der Erwerbstätigen zu ihrem Beruf. 59 Prozent der Befragten berichteten demnach von Personalmangel im eigenen Unternehmen und fast jeder Dritte (31 Prozent) von dadurch gestiegenem Arbeitsdruck, wie aus einer am Donnerstag veröffentlichten Untersuchung des Versicherers HDI hervorgeht. Zudem sei die Bindung zum Beruf nach Corona auf ein Rekordtief gesunken.
Als Folge des Personalmangels gaben die Befragten neben mehr Arbeitsdruck auch stockende Arbeitsabläufe sowie eine wachsende Bereitschaft zum Jobwechsel an (jeweils 14 Prozent). „Und dennoch: Fast jeder zweite Arbeitnehmer (44 Prozent) fühlt sich im Unternehmen nicht gefördert“, analysierte der HDI.
Weniger als die Hälfte (47 Prozent) der knapp 4000 Befragten gab an, dass ihnen „der Beruf viel bedeutet“. Das sei der niedrigste Wert seit Beginn der jährlichen HDI-Umfrage im Jahr 2019, hieß es. Zum Vergleich: 2022 hatte der Wert noch bei 58 Prozent gelegen.
Bindung zum Beruf sinkt
Die Berufsbindung der 30- bis 44-Jährigen lasse dabei am stärksten nach. Nur 37 Prozent dieser Generation stimmten der Aussage zu, dass einen Beruf auszuüben mehr bedeute als nur Geld zu verdienen. Bei den 15- bis 29-Jährigen waren es 41 Prozent, bei den über 60-Jährigen 49 Prozent.
Der Chef von HDI Deutschland, Jens Warkentin, stellte „gewaltige Herausforderungen in puncto Leistungsfähigkeit, Prozesssicherheit und Kundenservice“ fest. Der Fachkräftemangel sei im Herzen der deutschen Wirtschaft angekommen und werde sich in den kommenden Jahren durch das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge noch verstärken.
Die Studie zeige aber auch, dass sich „gute Personalarbeit“ für die Unternehmen auszahlen könne. So sagten Beschäftigte, die sich von ihrem Arbeitgeber gefördert fühlen, weit häufiger als Beschäftigte, die sich nicht gefördert fühlen, dass ihnen der Beruf „viel bedeutet“ (57 Prozent zu 38 Prozent). Ebenfalls nehmen sie laut HDI den digitalen Wandel viel häufiger als hilfreich wahr.
„Erst wenn die Menschen spüren, dass ihr Unternehmen auf sie setzt, sie fördert und weiterentwickelt, entstehen starke Bindungen“, erklärte die HDI-Personalvorständin Caroline Schlienkamp. Arbeitgeber mit einer "gezielten People-&-Culture-Strategie“ könnten sich Vorteile im Wettbewerb um die besten Talente erarbeiten.
Schlechte Vorgesetzte als Kündigungsgrund
Die Umfrage zeige indes auch, dass viele Beschäftigte die Reißleine ziehen, sollten sie das Gefühl haben, mit schlechten Vorgesetzten zusammenzuarbeiten. 50 Prozent würden sich in diesem Fall für eine Kündigung entscheiden, bei den unter 40-Jährigen sind es mit 56 Prozent noch etwas mehr. Frauen scheinen dabei entschlossener zu sein als Männer (53 Prozent zu 48 Prozent).
Als beste Maßnahme für Unternehmen, sich im Wettbewerb um Personal durchzusetzen, nannten die Beschäftigten eine höhere Entlohnung (46 Prozent). Es folgte die Einführung einer Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich (30 Prozent) und auch Betriebsrenten oder Bonussysteme (25 Prozent) helfen, Arbeitskräfte zu gewinnen.
Viele Beschäftigte könnten sich außerdem vorstellen, über das eigentliche Renteneintrittsalter hinaus weiterzuarbeiten. Nur etwa ein Viertel schließt das den Studienergebnissen zufolge grundsätzlich aus.
Die HDI-Studie wird jährlich zusammen mit dem Institut Yougov erhoben. Für die diesjährige Untersuchung wurden im Mai und Juni insgesamt 3864 Erwerbstätige ab 15 Jahren befragt.
Fachkräftemangel belastet die deutsche Wirtschaft
Laut Ifo-Institut ist der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zu einer der größten Herausforderungen für deutsche Unternehmen geworden. Gründe hierfür sind unter anderem der demografische Wandel sowie die sinkende Attraktivität vieler Ausbildungsberufe für Jugendliche.
Auch Ausbildungsbetriebe verzeichnen eine veränderte Bewerbersituation. Jeder fünfte Betrieb bietet für das kommende Jahr keine neuen Ausbildungsplätze an.