von Ali Özkök
TRT Deutsch hat mit Ali Çınar gesprochen. Er ist Außenpolitik-Analyst und Präsident der Turkish Heritage Organization. Das renommierte Institut mit Sitz in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington gilt als Brücke im politischen Austausch zwischen den NATO-Staaten USA und Türkei.
Der Disput zwischen den USA und der Türkei um den Status des aus Russland erworbenen S-400-Luftabwehrsystems hält an. Wie wird der Konflikt ihrer Meinung nach ausgehen? Die türkische Anschaffung des russischen S-400-Systems hat sich als einer der kniffligeren Dornen im NATO-Bündnis erwiesen, aber auch als einer, der die Komplexität der sich wandelnden Weltordnung erhöht. Es ist klar, dass die Türkei ein legitimes Bedürfnis nach Luftverteidigung hat. Die USA wären damit einverstanden, wenn die Türkei das S-400-System behalten, aber dieses deaktivieren. Sogar US-Senator Lindsey Graham hat angedeutet, dass dies von Kongress-Seite akzeptabel wäre. Außerdem sind die USA bereit für den Verkauf von Patriot-Luftabwehrsysteme. Die Türkei sieht es leicht anders. Sie will das S-400 nicht deaktivieren, ist jedoch bereit für den Kauf von Patriot-Systemen. Der Sprecher des türkischen Präsidenten, Ibrahim Kalın, arbeitet über einen gemeinsamen Arbeitsausschuss mit den USA derweil an einer Lösung. Es ist wichtig, dass sowohl Washington als auch Ankara in der Lage sind, sich ehrlich und respektvoll zu engagieren. Russland rückt militärisch in Libyen und Syrien vor. In beiden Konflikten ist die Türkei ein wichtiger Akteur, was die Türkei als Gegengewicht zu Russland zu einem natürlichen Partner für die USA machen sollte. Warum ist die Kritik an der Türkei noch immer vorherrschend? Eine Lösung in Syrien ist ohne die Türkei nicht möglich. Abgesehen von der Bekämpfung des Terrorismus ist der Beitrag der Türkei zur Infrastruktur der Nachkriegszeit und zu Projekten, die die Flüchtlinge und Syrien im Allgemeinen betreffen, von immenser Bedeutung. Auf die Türkei kommt eine große Verantwortung zu. Wir dürfen nicht vergessen, dass Russland die PKK nicht als terroristische Organisation anerkennt und die YPG ein Büro in Moskau unterhält. Derzeit befinden sich die Türkei und die USA in Bezug auf Idlib auf derselben Seite: Über 200 000 Syrer sind auf dem Weg in die Türkei und die internationale Zusammenarbeit mit der Türkei ist heute wichtiger denn je. Generalleutnant Thomson vom NATO-Kommando für Alliierte Landstreitkräfte sagte kürzlich auf einer Veranstaltung der Organisation Defense One: „Was wir aus der Sicht der NATO nicht vergessen dürfen, sind die Beiträge, die die Türkei leistet: die zweitgrößte Armee, die zu Operationen in Afghanistan und im Kosovo sowie in Bosnien beiträgt, also unsere täglichen Operationen.“
Es gibt noch immer einen starken Glauben an die Türkei, so dass ich glaube, dass die Türkei und die USA trotz der Meinungsverschiedenheiten immer noch gute Partner sind. Wie verhalten sich die USA im konkreten Libyen-Fall?
Was Libyen betrifft, so ist es sehr kompliziert. Die Türkei wird auf Ersuchen von Tripolis bereits im Januar Truppen nach Libyen entsenden. Das wird zur Konfrontation der türkischen Armee mit Söldnern führen, die in Verbindung mit dem Kreml stehen. Der russische Präsident Wladimir Putin wird die Türkei in der ersten Januarwoche besuchen, so dass eine der Hauptdiskussionen Libyen gewidmet wird. Eines ist klar, aber die USA und die Türkei sollten im Fall Libyens auf jeden Fall zusammenarbeiten. Wie wichtig ist die Türkei als Rüstungsindustrie-Standort für die USA im Hinblick auf bestehende Projekte wie das F-35-Programm? Die Türkei hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die türkische Industrie wirkt beispielsweise aktiv an der Entwicklung des F-35 Kampfjets mit den US-Unternehmen Lockheed Martin und Pratt & Whitney mit. Es gibt insgesamt acht türkische Unternehmen, die in das F35-Produktionsprogramm involviert sind. Die Türkei hat das teuerste Waffensystem Amerikas, den F-35 Joint Strike Fighter, mitfinanziert und bis heute 1,25 Milliarden US-Dollar in das Programm investiert. Die türkische Industrie nimmt eine bedeutende Rolle in der Industriebeteiligung von Lockheed Martin und Pratt & Whitney bei der Instandhaltung der F-35 Flugzeuge sowie der Produktion und Instandhaltung der F135-Triebwerke ein. Die Türkei hat die Genehmigung zum Bau eigener F135-Triebwerke erhalten und wurde außerdem ausgewählt, das erste regionale F135-Triebwerksdepot in Europa zu betreiben. Sowohl die Triebwerksproduktion als auch die Überholung werden in Eskişehir stattfinden. Was dürfte die Konsequenz tatsächlicher US-Sanktionen gegen die Türkei im Verteidigungsbereich sein? Wie wir wissen, hat das Pentagon angekündigt, die Teilnahme der Türkei am F-35-Programm einzustellen. Die Kommunikation zwischen den USA und der Türkei zu diesem Thema ist noch nicht abgeschlossen. Fakt ist, die Türkei besteht darauf, dass die USA einen Gründungspartner dieses Kampfjet-Programms nicht einfach so rauswerfen können. Das Pentagon hat bereits mehr als 200 Millionen US-Dollar bereitgestellt, um die Suche nach neuen Lieferanten für verschiedene Komponenten für den F-35 Joint Strike Fighter zu erleichtern. Ein Blick in die Vergangenheit beweist eines: Die Sanktionierung der Türkei nach der Zypern-Operation im Jahr 1974 machte die Türkei nur stärker. Sie setzte das Fundament für ihre eigene Verteidigungsindustrie. Auch heute werden Sanktionen die Türkei nur umso stärker zur Herstellung von heimischen Verteidigungsgütern motivieren. Vielen Dank für das Gespräch!