Bundestagswahl: Neue Phase der transatlantischen Beziehungen
Nach der Bundestagswahl geht nicht nur die Ära Merkel zu Ende. Es ist auch der Beginn einer neuen Phase in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. In den USA herrscht mit Blick auf die künftige Bundesregierung großes Rätselraten.
Bundestagswahl: Neue Phase der transatlantischen Beziehungen (DPA)

16 Jahre lang wussten die USA, mit wem sie es in Deutschland zu tun haben: Vier US-Präsidenten von George W. Bush bis Joe Biden erlebten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) während ihrer Amtszeit. Mit der Bundestagswahl wird auch eine neue Phase der deutsch-amerikanischen Beziehungen beginnen. Zwar stehen die Zeichen im transatlantischen Verhältnis auf Kontinuität, doch je nach Koalition könnte es Verschiebungen in der deutschen China- und Russland-Politik geben. Und das ist für Washington von größtem Interesse.

In den USA herrscht großes Rätselraten

Fest steht: Das baldige Ende von Merkels Kanzlerschaft stellt eine auch in den USA beachtete Zäsur dar. „Sie ist wirklich eine Institution, für viele in den USA ist sie das Gesicht Deutschlands“, sagt der Historiker und Deutschland-Experte Robert Terrell von der Syracuse-Universität im Bundesstaat New York. „Es wird einige Zeit brauchen, bis sich die Menschen an ein neues Gesicht gewöhnen.“ Während Merkels Gesicht in den USA wohlbekannt ist, herrscht mit Blick auf die künftige Bundesregierung großes Rätselraten: Das Auf und Ab der Parteien in den Umfragen und die vielen derzeit möglich erscheinenden Koalitionen erschweren es der Biden-Regierung, sich ein klares Bild zu verschaffen. Zumal die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD), Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne) in den USA wenig bekannt sind.

China größte geopolitische Herausforderung

Besonders interessiert ist die US-Regierung am Kurs einer künftigen Bundesregierung gegenüber China. Biden sieht das wirtschaftlich und militärisch aufstrebende Land als größte geopolitische Herausforderung an und will ein breites internationales Bündnis gegen Peking schmieden. „Worüber hier viel nachgedacht wird ist die Frage: Wo steht ein Mann wie Olaf Scholz in Sachen China“, sagt Journalismus-Professor Markus Ziener, der derzeit als Gastwissenschaftler beim German Marshall Fund in Washington über die transatlantischen Beziehungen forscht. Während der derzeitige Bundesfinanzminister als Kanzler wegen der wirtschaftlichen Verflechtungen ähnlich wie bislang Merkel „einen sehr pragmatischen Kurs fahren“ dürfte, könnte ein Eintritt der Grünen in die Regierung zu einer stärkeren Abgrenzung von China führen.

Änderungen bei einem von Grünen geführten Außenministerium

„In der Außenpolitik stehen für die Grünen die Menschenrechte an vorderster Stelle“, sagt Ziener. „Das wird Auswirkungen sowohl auf das Verhältnis zu Peking wie zu Moskau haben.“ Die Sozialdemokraten hätten Russland, den historischen Rivalen der USA, „stets mit größter Nachsicht behandelt“, sagt Ziener. „Das dürfte sich bei einem von den Grünen geführten Außenministerium ändern.“ Sympathien für die Grünen könnte es von Seiten der US-Regierung auch in der Klimapolitik geben. Biden hat den Kampf gegen die Erderwärmung zu einem der Hauptanliegen seiner Präsidentschaft gemacht. Deutschland-Experte Terrell sagt, eine Bundesregierung unter rot-grüner Führung wäre „ein starker Partner für einige der umweltpolitischen Ziele der Biden-Regierung“.

Kontinuität der bisherigen Verteidigungspolitik?

Schwieriger dagegen wäre es in der Verteidigungspolitik: Die Grünen und Teile der SPD sind für einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und lehnen die Zwei-Prozent-Quote der Nato für Verteidigungsausgaben strikt ab. Laschet und seine CDU würden da eher für Kontinuität der bisherigen Politik stehen. Das US-Außenministerium gibt sich, wie üblich vor Wahlen, betont neutral. Über die künftige Bundesregierung müssten „natürlich“ die deutschen Wähler entscheiden, sagt Ministeriumssprecher Ned Price. „Aber abgesehen davon haben wir die Erwartung, dass das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland weiterhin unglaublich eng und unglaublich effektiv ist.“

Differenzen bei der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 dauern an

Dabei läuft im deutsch-amerikanischen Verhältnis auch unter Biden nicht alles glatt. Die Art und Weise des Afghanistan-Abzugs der USA hat in Berlin einige enttäuscht, und die Differenzen bei der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 dauern an. Derweil muss Biden fürchten, dass es nach der Bundestagswahl - ähnlich wie vor vier Jahren - zu monatelangen Koalitionsverhandlungen kommen könnte, bis eine neue handlungsfähige Regierung steht. „Die Hoffnung ist groß, dass die Regierungsbildung diesmal nicht so lange dauert wie nach der letzten Bundestagswahl 2017“, sagt USA-Experte Ziener.

AFP