Als sie vergangene Woche in Albanien landet, ist die Botschaft der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, an den Ministerpräsidenten des Landes eindeutig: „Albaniens Zukunft liegt in der EU.“ In Nordmazedonien fügt sie noch deutlicher hinzu: „Ich unterstütze die formelle Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien, so bald wie möglich.“
Doch viele europäische Staats- und Regierungschefs sehen das anders. Sie befürchten eine Gegenreaktion in ihren Staaten auf eine weitere EU-Erweiterung. Garantien wie jene auf von der Leyens Balkantour sind nicht mehr in ihrem Sinne.
Österreich für EU-Aufnahme des Westbalkans
Eine Ausnahme bildet hier Österreichs Regierung. „Wir brauchen endlich mehr Tempo beim EU-Beitritt des Westbalkans, weil es darum geht, in dieser Region Europa abzusichern“, sagte Österreichs Aussenminister Alexander Schallenberg der „Welt“ im Vorfeld des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs mit den politischen Spitzen aus Serbien, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina und Albanien am Mittwoch im slowenischen Kranj.
Im Jahr 2003 hatte die EU bei einem Treffen in Thessaloniki zugesagt, dass die Balkanländer – darunter Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Serbien, Kosovo, Montenegro und Nordmazedonien – der Union in Zukunft beitreten könnten.
Seitdem ist nur Kroatien ein Mitgliedsstaat geworden, während die Beitrittsbemühungen der anderen Balkanstaaten stagnieren. Den EU-Ländern scheint der Appetit auf eine weitere Expansion vergangen zu sein.
Aus unterschiedlichen politischen Gründen haben nordeuropäische Länder wie Dänemark, Frankreich und die Niederlande den Beitritt der Balkanländer zur EU immer wieder blockiert oder ihnen Hürden in den Weg gelegt.
In jüngster Zeit blockierte Bulgarien den Beitrittsprozess Nordmazedoniens aufgrund eines Sprachenstreits zwischen den beiden Seiten.
Ablehnung von Muslimen
Ein weiterer Faktor, der bei der Verlangsamung des Beitrittsprozesses eine Rolle gespielt hat, ist die große muslimische Bevölkerung in der Region. Länder wie Albanien, Kosovo und Bosnien sind die drei mehrheitlich muslimischen Länder Europas. Aber auch in Nordmazedonien gibt es eine beachtlich große muslimische Minderheit.
Ein Leitartikel im „Economist“ warnte vor Kurzem davor, dass die meisten europäischen Länder dem Gedanken an einen Beitritt eines Landes mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit nicht offen gegenüberstehen. Das Land, um das es in dem Artikel ging, war die Türkei.
Frankreich-Wahlen als Einflussfaktor
In Frankreich stehen unterdessen Wahlen an, bei denen der französische Präsident Emmanuel Macron einer starken Herausforderung durch die Rechtsextremen des Landes gegenübersteht. Eine Anfang des Jahres durchgeführte Umfrage ergab, dass die meisten Franzosen der Aussicht auf einen EU-Beitritt der Balkanländer nicht positiv gegenüberstehen – bei den Wahlberechtigten sind es rund 59 Prozent.
Analysten warnen davor, dass die EU ehrlicher mit den Balkanländern sein müsse, denen seit 30 Jahren gesagt werde, dass sie eines Tages der EU beitreten würden.
Die enttäuschten Hoffnungen auf einen EU-Beitritt haben auch eine mögliche Lösung mehrerer miteinander verknüpfter Probleme zum Stillstand gebracht. Dazu zählt die Nichtanerkennung des Kosovo durch Serbien, das 2008 seine Unabhängigkeit erklärt hat, sowie die anhaltende Pattsituation bei der Regierungsführung in Bosnien.
Die jüngsten Spannungen zwischen dem Kosovo und Serbien haben zudem gezeigt, wie leicht die Dinge in der Region aus dem Ruder laufen können. Mehr zum Thema: EU will keine Beitrittsgespräche mit Balkanstaaten