Ungarischen Medienberichten zufolge soll der Name des jüngst wiedergewählten Premierministers Viktor Orbán der sogenannten „Mirotworez“-Liste hinzugefügt worden sein. In dieser Datenbank, die sich selbst „Friedensstifter“ nennt, werden sogenannte Feinde der Ukraine mit allen verfügbaren Daten bis hin zu ihren Wohnadressen aufgeführt.
Die Seite wurde 2014 vom früheren Gouverneur der Oblast Luhansk und späteren Vizeminister für „Binnenvertriebene und die zeitweilig besetzten Territorien“, George Tuka, ins Leben gerufen. Sie enthält mittlerweile die Daten von mehreren zehntausend Personen, darunter Politikern, Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens aus dem In- und Ausland.
OSZE äußerte Sorge um Sicherheit von Journalisten
In mehreren Fällen wurden auf der Liste aufgeführte Personen bereits zu Zielen von Mordanschlägen mutmaßlicher ukrainischer Neonazis. Im Jahr 2015 wurde beispielsweise der linksgerichtete Autor und Maidan-Gegner Oles Busyna in Kiew ermordet. Im gleichen Jahr wurde der frühere Abgeordnete der prorussischen „Partei der Regionen“ Oleh Kalaschnikow ebenfalls in der ukrainischen Hauptstadt erschossen. In beiden Fällen wurden nur wenige Tage vor den Morden die persönlichen Daten der späteren Opfer auf „Mirotworez“ veröffentlicht.
Darüber hinaus kam es zu mehreren Anschlägen und Todesdrohungen gegen dort aufgeführte Personen. Im Jahr 2016 äußerte die damalige OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, Dunja Mijatović, ihre Besorgnis über die Sicherheit von Journalisten und Medienmitarbeitern nach der Veröffentlichung der persönlichen Daten von mehr als 4000 Vertretern verschiedener ukrainischer und internationaler Medien.
Betroffen waren unter anderem CNN, AFP, Reuters, BBC, New York Times, „Vice News“ und „Al-Jazeera“. Ihnen wurde „Zusammenarbeit mit einer terroristischen Organisation“ vorgeworfen, weil sie sich zwecks Berichterstattung bei der selbsternannten „Volksrepublik Donezk“ akkreditieren ließen.
Die ukrainische Regierung stellte stets in Abrede, Neonazis die öffentliche Führung einer Todesliste zu ermöglichen. Es gehöre zu den zentralen Narrativen russischer Propaganda, den Einfluss ultranationalistischer Kräfte in der Ukraine bewusst zu übertreiben, heißt es regelmäßig aus Kiew.
Ungarn als Feindbild ukrainischer Nationalisten
Dass Orbán auf der Liste aufgeführt ist, hängt wahrscheinlich mit der Position seiner Regierung im Ukraine-Krieg zusammen. Die Regierung in Budapest lehnt sowohl die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine als auch ein Energie-Embargo gegen Russland ab. Ungarn konzentriert sich stattdessen auf die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge.
Zudem hatte die Regierung in Budapest mehrfach Einschränkungen der Rechte der ungarischen Volksgruppe in der Ukraine im Bildungswesen und der Sprachpolitik sowie Übergriffe durch neonazistische Gruppierungen kritisiert.
Neben Orbán finden sich bereits seit längerem Ungarns Außenminister Péter Szijjártó, der Präsident des Transkarpathischen Ungarischen Kulturvereins, László Brenzovics, sowie Olivér Várhelyi, der ungarische EU-Erweiterungskommissar, auf der Liste. In den vergangenen Wochen gab es in mehreren ungarischen Städten Bombendrohungen in Einkaufszentren, in denen auf die Position der Regierung gegenüber der Ukraine hingewiesen wurde.
Auswärtiges Amt verurteilte Aufnahme von Schröder
Deutschlands früherer Bundeskanzler Gerhard Schröder ist seit 2018 zusammen mit seiner Ehefrau ebenfalls auf „Mirotworez“ aufgeführt. Das Auswärtige Amt hatte damals diese Liste „in aller Deutlichkeit“ verurteilt.
Man habe, so hieß es damals vonseiten einer Ministeriumssprecherin, „der ukrainischen Seite unsere Position schon in der Vergangenheit deutlich gemacht und wir haben darauf gedrungen, dass die ukrainische Seite auf die Löschung dieser Webseite hinwirkt“. Die Seite ist jedoch nach wie vor online.
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