Nach den jüngsten Vorwürfen gegen den US-Konzern Facebook hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) eine strenge Regulierung von Online-Netzwerken verlangt. Es sei sichtbar geworden, „dass Appelle an Verantwortungsbewusstsein und Selbstregulierung des Netzwerks nichts fruchten und Profitinteressen im Zweifel über gesellschaftliche Verantwortung gestellt werden“, sagte Lambrecht den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) vom Donnerstag. Auch EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton sieht sich darin bestärkt, das US-Onlinenetzwerk stärker zu regulieren.
„Whistleblowerin“ mit politischer Agenda? Es sei „wichtig, Facebook & Co. Zügel anzulegen und diese stramm anzuziehen“, fuhr Lambrecht fort. Sie bezog sich vor allem auf Äußerungen der früheren Mitarbeiterin und sogenannten Whistleblowerin Frances Haugen. Sie hatte dem Konzern vorgeworfen, „Profitinteressen systematisch über die Sicherheit seiner Nutzerinnen und Nutzer“ zu stellen und damit vor allem Kindern zu schaden und die Gesellschaft zu spalten. Auch Haugen forderte eine strenge Regulierung des Online-Riesen.
Kritiker befürchten demgegenüber Nachteile für die Redefreiheit und weitere bürgerliche Freiheitsrechte, sollten Unmut über unwillkommene Inhalte oder Ausfälle des Netzwerks wie jüngst am Montag zu einer stärkeren staatlichen Einmischung und möglicherweise Zensur führen. Einige US-Nachrichtenportale hatten ihrerseits enthüllt, dass es sich bei Haugen nicht nur um eine enttäuschte Ex-Mitarbeiterin handelt, sondern auch um eine Person, die möglicherweise eine politische Agenda verfolgt. So hatte sie unter anderem mehrfach an die politisch weit links stehende Demokraten-Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez gespendet.
Lambrecht: Enthüllungen belegen „dringenden Bedarf nach Regulierung“
Lambrecht sagte dazu, die Enthüllungen „belegen, wie dringend wir in Europa eine starke und wirkungsvolle Regulierung sozialer Netzwerke brauchen“. In einem geeinten Europa betreffe es „uns alle, wenn soziale Netzwerke mit ihren Algorithmen Hass und Hetze verstärken sowie politische und gesellschaftliche Fehlentwicklungen fördern“. Sie verwies dabei auch auf die enorme Marktmacht großer Technologiefirmen.
Pläne der EU-Kommission wie der sogenannte Digital Services Act, sehen unter anderem besondere Sorgfaltspflichten für sehr große Online-Plattformen vor, etwa regelmäßige Risikobewertungen und mehr Transparenz. Der Gesetzentwurf gehe jedoch nicht weit genug, sagte Lambrecht.
Eine „Wurzel des Übels“ sei auch, dass die Plattformen mit personalisierter Werbung arbeiteten, sagte die Ministerin den RND-Zeitungen weiter. „Wir wollen, dass die Nutzerinnen und Nutzer die Dienste auch ohne personalisierte Werbung nutzen können und dass personalisierte Werbung gegenüber Minderjährigen verboten ist.“ Für strafbare Hetze seien verpflichtende Regeln mit kurzen Reaktionsfristen nötig - und in schweren Fällen auch Meldepflichten an die Strafverfolgungsbehörden. In Deutschland gibt es zu diesem Zweck allerdings bereits seit mehreren Jahren das Netzwerkdurchsetzungsgesetz.
EU-Kommissar Breton sieht sich in der Arbeit der Behörde bestätigt
Auch EU-Kommissar Breton sieht sich in der Arbeit der Behörde bestätigt. Es sei nach Haugens Enthüllungen nun „wirklich dringend“, das Vorhaben in Gesetze zu gießen und es „nicht abzuschwächen“, sagte er in Brüssel.
Breton hatte im Dezember zwei Entwürfe vorgelegt, die vermeintliche oder tatsächliche missbräuchliche Praktiken von Onlinenetzwerken verhindern sollen. Das Europaparlament und der Rat der 27 EU-Mitgliedstaaten beraten derzeit über die Vorlagen.
Breton ließ sich in einem Gespräch mit der früheren Facebook-Mitarbeiterin Haugen deren Vorwürfe gegen den US-Konzern schildern. Sie habe ihm „ihre Perspektive, insbesondere in Fragen von Transparenz, Daten und Algorithmen“ dargelegt, sagte der EU-Kommissar. Dies habe ihn darin bestärkt, Lobbyarbeit für eine Aufweichung der Vorlagen nicht nachzugeben.