Die Zahl der Flüchtlinge weltweit hat nach UN-Angaben mit rund 110 Millionen Menschen einen neuen Höchststand erreicht. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Genf spricht von einem gewaltigen Anstieg der Zahl und bezeichnet die Entwicklung als „Anklage gegen den Zustand der Welt“. Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, die humanitäre Krise in Afghanistan und Kämpfe im Sudan hätten die Zahlen auf ein beispielloses Niveau angehoben.
Zahl der Flüchtlinge weltweit erreicht neuen Höchststand
„Wir haben 110 Millionen Menschen, die aufgrund von Konflikt, Verfolgung, Diskriminierung und Gewalt geflohen sind, oftmals in Verbindung mit anderen Motiven, insbesondere den Folgen des Klimawandels“, so der UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi bei einer Pressekonferenz in Genf.
Ende des vergangenen Jahres lag die Zahl der Flüchtlinge bei 108,4 Millionen Menschen, heißt es im jährlichen UNHCR-Bericht zu Flucht und Vertreibung. Diese Zahl sei um 19,1 Millionen Menschen höher als Ende 2021 - der bisher größte Anstieg seit Beginn der Aufzeichnungen. Seit Ende 2022 seien noch mehr Vertriebene aus dem Konflikt im Sudan dazugekommen, die die Schätzung der UN-Organisation auf insgesamt 110 Millionen im Mai bringen.
Mehr als die Hälfte – 62,5 Millionen (58 Prozent) der Geflüchteten sind Binnenvertriebene und 35,3 Millionen sind Flüchtlinge. Hinzu kommen 5,4 Millionen Menschen, die als Asylsuchende registriert wurden. 5,2 Millionen Menschen waren auf internationalen Schutz angewiesen.
UN: Ärmste Länder beherbergen 20 Prozent aller Geflüchteten
Gut ein Drittel der Vertriebenen flüchtete ins Ausland. Davon waren wiederum zwei Drittel in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Nach UN-Angaben beherbergen die 42 ärmsten Länder der Erde, die über wenig mehr als ein Prozent des weltweiten Reichtums verfügen, 20 Prozent aller Geflüchteten. Es sei ein Mythos, dass die Flüchtlinge vor allem in reiche Länder, etwa in Europa oder Nordamerika fliehen, sagte Grandi.
Laut UNHCR beherbergte Türkiye mit 3,6 Millionen die meisten Menschen auf der Flucht. Dahinter lagen der Iran mit 3,4 Millionen Menschen und Kolumbien mit 2,5 Millionen. Deutschland rangierte auf dem vierten Platz mit 2,1 Millionen Flüchtlingen. Im vergangenen Jahr waren 40 Prozent aller Geflüchteten Kinder.
Überproportional viele Kinder auf der Flucht
Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge in Afghanistan, Burkina Faso, Niger, Somalia und Sudan sind laut UNO Kinder. Nach vorsichtigen Schätzungen der Weltorganisation wurden zwischen 2018 und 2022 jährlich 385.000 Kinder auf der Flucht geboren.
Ein sehr großer Teil der Flüchtlinge, die sich in Deutschland aufhalten, kommt aus der Ukraine. Menschen, die von dort fliehen, müssen in der EU keinen Asylantrag stellen. Ihnen wird ein sogenannter vorübergehender Schutz gewährt. Rund 860.000 Menschen haben diesen in Deutschland erhalten oder beantragt. „Die Zahlen zeigen uns, dass manche Menschen viel zu schnell in Konflikte steuern und viel zu langsam nach Lösungen suchen“, sagt Filipo Grandi, UN-Hochkommissar. Die Folge sei Verwüstung, Vertreibung und Leid für Millionen von Menschen, die gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben werden.
Viele Flüchtlinge wollen zurück in ihre Heimat
Laut dem UN-Bericht sind im vergangenen Jahr mehr als 339.000 Flüchtlinge in 38 Länder, also in ihre Heimatländer, zurückgekehrt. Besonders viele seien in den Südsudan, nach Syrien, Kamerun und an die Elfenbeinküste zurückgekehrt. In der Zwischenzeit seien 5,7 Millionen Binnenvertriebene wieder in ihrer Heimat.
„Es ist ein Armutszeugnis für den Zustand unserer Welt“, sagte UN-Hochkommissar Grandi. Es gebe immer mehr Krisen, aber kaum Lösungen. Es brauche mehr Anstrengungen, um Fluchtursachen zu bekämpfen und Menschen auf der Flucht zu helfen. Die aktuelle Krise im Sudan könne sich ausweiten, befürchtete der UNO-Hochkommissar. Noch seien Hunderttausende von Flüchtlingen in den Nachbarländern untergekommen. Der Osten des Landes sei jedoch bekannt dafür, dass sich dort Menschenschmuggler aufhielten.