Das ukrainische Verteidigungsministerium hat am Samstag damit begonnen, die Gesichtserkennungstechnologie von Clearview AI zu nutzen. Das sagte der Geschäftsführer des US-Unternehmens gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters am Montag. Mit seiner Technologie verspricht das Start-up unter anderem, russische Angreifer zu enttarnen, Fehlinformationen zu bekämpfen sowie Tote zu identifizieren.
Die Ukraine erhalte einen kostenlosen Zugang zu Clearviews' leistungsfähiger Suchmaschine für Gesichter. Damit könnten Behörden unter anderem Personen von Interesse an Kontrollpunkten überprüfen, erklärte der Berater von Clearview, Lee Wolosky, der zuvor US-Diplomat während der Amtszeiten der Präsidenten Barack Obama und Joe Biden war.
Gesichtserkennung mit 10 Milliarden Fotos
Das Start-up verfügt nach eigenen Angaben über mehr als zwei Milliarden Bilder aus dem russischen Social-Media-Dienst VKontakte und insgesamt über 10 Milliarden Fotos. Die Datenbank könne der Ukraine helfen, Tote leichter zu identifizieren, und sei dabei erfolgreicher als ein Fingerabdruckabgleich. Zudem funktioniere die Technik auch, wenn das Gesicht beschädigt sei.
Die Clearview-Technologie könne außerdem dabei helfen, Geflüchtete wieder mit ihren Familien zusammenzuführen, russische Agenten zu identifizieren und Kiew bei der Entlarvung falscher Beiträge in den sozialen Medien zu unterstützen. Die Kooperation sei auf Initiative von Geschäftsführer Hoan Ton-That entstanden. Nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert war, hat Ton-That laut Reuters einen Brief an Kiew geschickt und Unterstützung angeboten.
Eine Bestätigung für den Einsatz des Clearview-Produkts sowie über dessen genauen Zweck gibt es bisher seitens des ukrainischen Verteidigungsministeriums noch nicht. Zuvor hatte ein Sprecher des ukrainischen Ministeriums für digitale Transformation lediglich erklärt, man prüfe Angebote von US-amerikanischen Unternehmen für Künstliche Intelligenz wie das Produkt von Clearview.
Einsatz von Clearview-Technologie umstritten
Der Einsatz der Clearview-Technologie ist nicht unumstritten. Zu den Kunden des Unternehmens gehören auch US-Behörden wie das ICE sowie das FBI. Das Unternehmen ist in den USA von mehreren Klagen betroffen, darunter Vorwürfe über Verstöße gegen das Datenschutzrecht. Mehrere Länder, darunter Großbritannien und Australien, haben die Praktiken des Unternehmens für illegal erklärt.
Der Geschäftsführer des unabhängigen Surveillance Technology Oversight Project in New York, Albert Fox Cahn, gehört ebenfalls zu den Kritikern von Clearview AI. Er befürchte, die Gesichtserkennung könnte Personen an Kontrollpunkten und im Kampf ebenso falsch identifizieren. Eine Fehleinschätzung könne dann tödliche Folgen für Zivilisten haben, so wie es auch schon zu ungerechtfertigten Verhaftungen durch die Polizei in den USA gekommen sei.
„Wir werden erleben, dass eine gut gemeinte Technologie nach hinten losgeht“
„Wir werden erleben, dass eine gut gemeinte Technologie nach hinten losgeht und genau den Menschen schadet, denen sie eigentlich helfen soll“, warnte Cahn vor den Folgen der Gesichtserkennungstechnologie von Clearview.
Zwar sei die Identifizierung von Verstorbenen als die wahrscheinlich am wenigsten
gefährliche Art des Einsatzes von Technologie im Krieg, dennoch sei der Einsatz gefährlich
und somit nicht empfehlenswert „Sobald man diese Systeme und die damit verbundenen
Datenbanken in einem Kriegsgebiet einsetzt, hat man keine Kontrolle darüber, wie sie
eingesetzt und missbraucht werden“, so Cahn.