Interview: Projekt EastMed-Pipeline vor erheblichen Herausforderungen
Im Interview mit TRT Deutsch hat ein Experte für Energiesicherheit mehrere Aspekte der konkurrierenden Außenpolitik im östlichen Mittelmeerraum erklärt. Er unterstrich, auch Russland wolle in dieser Region eine dominante Rolle spielen.
Ein Boot der israelischen Marine neben der Förderplattform des Leviathan-Erdgasfeldes im Mittelmeer in der Nähe des Kibbuz Nahsholim im Norden Israels. (Reuters)

von Ali Özkök

TRT Deutsch hat mit Dr. Omid Shokri gesprochen. Er ist Experte für Energiediplomatie und Energiesicherheit, Referent beim Think Tank United World International und Analyst beimRisikoberatungsunternehmenGulf State Analytics.

Das wichtigste energiepolitische Ziel der Türkei ist es, eine Energiedrehscheibe zwischen Ost und West zu werden. Was hat sich in der Türkei in den letzten 10 bis 15 Jahren in dieser Richtung verändert?

Der türkische Energiemarkt hat sich im Laufe des letzten Jahrzehnts in einem Tempo entwickelt, das bislang nur der Volksrepublik China vorbehalten war. Das zeigt, dass die Türkei ein ernsthaftes Potenzial hat. Um ihre Energieziele für 2023 zu erreichen, muss der Markt Investitionen in Höhe von 130 Milliarden US-Dollar erhalten.

Eine große potenzielle Chance für eine engere Zusammenarbeit ist das Bestreben der Türkei, sich zu einer regionalen Energie-Drehscheibe zu entwickeln. Die geografische Lage und das Pipeline-Netz der Türkei sollen als Energiekorridor fungieren - die öl- und gasreichen Staaten Zentralasiens und des Nahen Ostens mit den großen Verbraucherländern in Europa verbinden. Die Türkei beherbergte bereits einige Öl- und Gaspipelines. Sie tätigte aber auch enorme Investitionen in die Energieinfrastruktur. Mit der Liberalisierung des Energiemarktes und den verstärkten Investitionen in die Energieinfrastruktur hat die Türkei das Potenzial, mittel- oder langfristig eine Energiedrehscheibe zu werden.

Am zweiten Januar unterzeichneten die griechisch-zyprische Verwaltung, Griechenland und Israel ein Rahmenabkommen für den geplanten Bau der EastMed-Gaspipeline. Wie wirkt sich dieses Abkommen auf die Energieaktivitäten der Türkei im Mittelmeerraum aus und welche geopolitische Agenda steckt dahinter?

Einige Analysten waren der Meinung, dass die EastMed-Pipeline neben den wirtschaftlichen und technischen Herausforderungen auch rechtliche Fragen nach dem Seeverkehrsabkommen zwischen der Türkei und Libyen beinhaltet. Israel ist sich dieser gesamten Situation bewusst. Es sollte beachtet werden, dass eine Zusammenarbeit mit Israel auch eine Zusammenarbeit mit den USA bedeuten würde. Die israelischen und US-amerikanischen Unternehmen, die das Leviathan-Feld bedienen, sind regionale Partner. Wenn es also eine Zusammenarbeit mit Israel gibt, werden alle Bilanzen in der östlichen Mittelmeerregion zugunsten der Türkei und [der Türkischen Republik] Nordzypern ausfallen.

Welche objektiven Vorteile hätte der Gastransport aus dem östlichen Mittelmeerraum über die Türkei im Vergleich zum Energietransfer durch die EastMed-Pipeline?

Um den Zugang zu den türkischen Hoheitsgewässern zu vermeiden, muss der Bau der EastMed-Pipeline in den Tiefen der hohen See erfolgen, was die Kosten erheblich erhöhen wird. Dieses längste und tiefste Hochsee-Erdgaspipelineprojekt der Welt ist von Anfang an mit technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen verbunden. Darüber hinaus werden nach dem Seeverkehrsabkommen zwischen der Türkei und Libyen auch rechtliche Fragen auftauchen, da es sich bei dem Projekt um eine Pipeline handelt, die sich entlang eines Meeresgebiets erstreckt, das in den Verwaltungsbereich der Türkei fällt.

Wie schätzen Sie das Kräfteverhältnis im östlichen Mittelmeer ein und wie ist die geopolitische Dynamik aus Sicht der Türkei?

Als strategischer Verbündeter Israels haben die Vereinigten Staaten die israelische Politik auf regionaler Ebene immer unterstützt, und angesichts ihrer guten Beziehungen zu Israel und Europa werden sie dieses Projekt natürlich auch weiterhin unterstützen. Die israelischen Gasexporte nach Europa würden einen Rückgang des russischen Marktanteils bedeuten, was im US-Interesse ist.

Die Energiediplomatie im Mittelmeerraum neigt sich dem Ende zu. Wenn die Probleme der Türkei mit den Ländern der Region unter Berücksichtigung der Interessen aller Seiten in einem bestimmten Rahmen gelöst werden, kann das Projekt der Pipeline im östlichen Mittelmeerraum als Friedenspipeline bezeichnet werden. Wenn es umgesetzt wird, würde Israel ein europäischer Energiesicherheitsanbieter und ein regionaler Energieakteur werden. Außerdem kann Israel seine Beziehungen zur arabischen Welt verbessern, indem es die Energieproduktion und -exporte erhöht, und es kann auch eine Rolle bei der Unterstützung des palästinensischen Wirtschaftswachstums spielen.

Am achten Januar kam der russische Präsident Wladimir Putin in die Türkei, um die TurkStream-Pipeline zu öffnen. Wie beurteilt Russland die Entwicklungen im östlichen Mittelmeerraum? Russland ist keineswegs bereit, seinen Anteil am europäischen Gasmarkt zu reduzieren. Wenn die Bedingungen für den Export von Gasressourcen aus dem Mittelmeerraum in den EU-Markt erfüllt sind, würde dies einen Rückgang des russischen Anteils am EU-Gasmarkt in den kommenden Jahren bedeuten. Aus diesem Grund beobachtet Russland die Entwicklungen in der Region sorgfältig. Die Präsenz der russischen Marineflotte in der Region und zahlreiche Besuche russischer Beamter in diesen Gebieten deuten auf Russlands Plan hin, eine aktive Rolle in den Energiegleichungen der Region zu spielen. Russlands Unterstützung für das Assad-Regime in Syrien könnte auch als Teil der aktiven Diplomatie Moskaus in der Region gesehen werden. Wie beurteilen die USA im Vergleich zu Russland die Spannungen im Mittelmeerraum? Der Energiemarkt der Europäischen Union war schon immer ein Ziel der USA. Die Verringerung der Abhängigkeit Europas von russischem Gas und die Erhöhung der LNG-Importe aus den Vereinigten Staaten gehören zu den wichtigen Zielen, die eine aktive Rolle in der Energiediplomatie der USA mit der Europäischen Union spielen. Die Unterstützung der USA für ihre Verbündeten in der Region ist ein weiterer Faktor für die militärische Präsenz der USA in diesen Gebieten. In den letzten Monaten, als die türkischen Bohraktivitäten an der Mittelmeerküste zugenommen haben, haben die USA offiziell ihre Besorgnis über die Operation zum Ausdruck gebracht. Im vergangenen Mai gab das US-Außenministerium eine Erklärung heraus, in der die Türkei aufgefordert wurde, ihre Entscheidung zu überdenken, vor der Küste Zyperns nach Energie zu suchen.

Vielen Dank für das Gespräch!


TRT Deutsch