Erstmals Pflichteinsatz für Reservisten
Extreme Hitze und starker Wind erschweren den lebensgefährlichen Kampf gegen die verheerenden Buschbrände in Australien. Westlich der Millionenmetropole Sydney wurden 48,9 Grad erreicht, in der Hauptstadt Canberra 44 Grad, wie der Wetterdienst am Samstag mitteilte.
Angesichts des Ausmaßes der Katastrophe mobilisierte der in der Kritik stehende Premierminister Scott Morrison das Militär, um die Feuerwehr zu unterstützen. So kündigte Morrison am Samstag den Einsatz eines dritten Kriegsschiffs zur Unterstützung der Evakuierung aus Küstenstädten an. Zudem sollen bis zu 3000 Reservisten einberufen werden und Militärstützpunkte als Notunterkünfte dienen.
Es sei der erste Pflichteinsatz für Reservisten in der Geschichte des Landes, sagte Verteidigungsministerin Linda Reynolds. Australien erlebt nach Angaben der Behörden zudem die größte Evakuierungsaktion in Friedenszeiten: Zehntausende Menschen mussten allein im Südosten des Kontinentalstaates ihre Häuser auf der Flucht vor den Flammen verlassen.
„Wir blicken auf eine lange Nacht, das Schlimmste steht uns noch bevor“, sagte New South Wales-Regierungschefin Gladys Berejiklian. In zwei Bundesstaaten wurde der Notstand verhängt. Im Victoria-Küstenort Mallacoota setzte die Marine die Bergung von Urlaubern und Bewohnern fort, die sich vor den gewaltigen Flammen an den Strand gerettet hatten.
Premierminister Morrison kündigte an, dass rund 20 Millionen australische Dollar (rund 12,45 Millionen Euro) zur Verfügung gestellt werden sollen, um zusätzlich vier Löschflugzeuge zu leasen.
Bei den schweren Buschbränden sind Morrison zufolge seit September 23 Menschen ums Leben gekommen und mehr als fünf Millionen Hektar Land zerstört worden. Mehrere Menschen werden außerdem vermisst.
Premierminister unter starker Kritik
„Wir hatten immer schon Waldbrände in Australien.“, sagte Scott Morrison noch in seiner Neujahrsansprache und pries den Gemeinschaftsgeist seiner Landsleute. „Wir haben derlei Katastrophen schon früher überstanden!“ Gerade diese Widerstandskraft sei es doch, die den Geist der Australier ausmache, den „Aussie spirit“ gelte es zu feiern.
Der 51-Jährige Premierminister gilt als Kohle-Förderer. Er sieht die Brände als Naturkatastrophe und lehnt es ab, seine Klimapolitik deswegen zu ändern. Er wurde dafür kritisiert, dass er während der Krise nach Hawaii fuhr und musste seinen Urlaub abbrechen. Bei einem Besuch in einem Feuergebiet, in Cobargo, war er beschimpft worden.
Dem Regierungschef wird vorgeworfen, er zeige nicht genug Mitgefühl und Engagement. Er wirke mal unbeteiligt, mal optimistisch. Oder er sei abwesend. #WhereTheBloodyHellAreYou trendete tagelang auf Twitter, „Wo zum Teufel bist du?“. Morrison hatte seine Ferien abgebrochen, nachdem zwei Feuerwehrleute gestorben waren.
Notstand wird ausgerufen
David Bowman, Direktor des Fire Centre an der Universität Tasmanien, zweifelt an der Normalität des Geschehens. Das Auffälligste an dieser Brandsaison ist für den Wissenschaftler die kontinentale Art der Bedrohung. „Die geografische Reichweite und die Tatsache, dass die Feuersaison überall zugleich stattfindet, ist, was sie beispiellos macht“, sagte Bowman dem australischen Guardian.
Die Buschfeuer auf dem Kontinent wüten bereits seit Oktober. Im Bundesstaat New South Wales, dessen Hauptstadt Sydney ist, wüten rund 150 Feuer, im Bundesstaat Victoria (Hauptstadt Melbourne) sind es etwa 50.
Die Großstädte Sydney und Canberra sind seit Wochen in dicke Rauchwolken gehüllt. Zigtausende Anwohnerinnen und Urlauber fliehen aus Ferienregionen an der Südostküste. Tausende von Quadratkilometern sind zur Sperrzone erklärt worden. Vielerorts waren Telefonleitungen gestört, Strom und Internet fielen aus.
Mehr als fünf Millionen Hektar Land sind abgebrannt, das entspricht ungefähr der anderthalbfachen Fläche Belgiens. Wissenschaftler schätzen, dass Hunderte Millionen Tiere umkamen.
Forscher der Universität Sydney berechneten mit Hilfe von älteren Zahlen der Umweltstiftung WWF zum Thema Landrodung, welche Folgen die Brände allein für den Bundesstaat New South Wales haben könnten. 480 Millionen Säugetiere, Reptilien und Vögel könnten dadurch verendet sein. Nach Angaben der Forscher ist das noch konservativ geschätzt, wahrscheinlich seien es viel mehr. Schon im November berichteten Experten im Parlament von New South Wales, dass mindestens 2000 Koalas bei den Feuern getötet worden seien.
Starke Einbußen beim Tourismus
Auch die australische Wirtschaft leidet unter den Buschbränden. Die Fernsehbilder von Buschbränden in Australien und Rauchschwaden über der Metropole Sydney schrecken zusehends Touristen aus aller Welt vom Besuch des Kontinents ab. Zwar liegen noch keine offiziellen Zahlen für das gesamte Land vor. Doch lassen Daten aus der Region um Sydney auf starke Einbußen schließen.
Der Hotellerieverband von Australien teilte mit, in Sydney seien die Gästezahlen im Dezember um zehn Prozent eingebrochen. „Die Feuer und der Rauch haben dem Ruf der Touristenmarke Sydney sehr geschadet“, so Verbandschef Dean Long. „Die offenbar nicht enden wollenden Buschfeuer ziehen die Wirtschaft weiter nach unten“, sagte Chefökonom Shane Oliver vom Finanzhaus AMP Capital. Die Konjunktur werde nicht nur durch die Naturzerstörung beeinträchtigt, sondern auch indirekt: Denn die Brände lasteten zusehends auf der nationalen Psyche und hemmten so den Konsum.