Ukraine-Krieg: EU-Kandidatur und Rückzug aus Sjewjerodonezk
In der Ukraine sorgt die offizielle EU-Beitrittskandidatur für Euphorie. Die Freude wird jedoch getrübt durch einen Rückschlag in der umkämpften Stadt Sjewjerodonezk. Die Nacht im Überblick:
08.06.2022, Ukraine, Sjewjerodonezk: Ein ukrainischer Soldat blickt während schwerer Kämpfe an der Frontlinie in Sjewjerodonezk in der Region Luhansk durch ein Fernglas. (DPA)

Die Ukraine kann sich als frischgebackener EU-Beitrittskandidat Hoffnungen auf eine Zukunft im gemeinsamen Europa machen. Zugleich aber wird die militärische Lage im östlichen Gebiet Luhansk für die ukrainische Armee immer brenzliger. Russische Angreifer kämpfen sich vor und versuchen, die strategisch wichtige Stadt Lyssytschansk einzukesseln. Aus den USA kommen zusätzliche wichtige Waffen wie Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesysteme und Patrouillenboote. Selenskyj: EU-Kandidatenstatus für Ukraine historisch Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj würdigte den EU-Kandidatenstatus für sein Land als einen historischen Moment. „Die Zukunft der Ukraine liegt in der EU“, betonte er nach der Entscheidung der Staats- und Regierungschefs der EU beim Gipfel in Brüssel. Zugleich sei dies aktuell der größte mögliche Schritt zur Stärkung Europas, „während der russische Krieg unsere Fähigkeit auf die Probe stellt, Freiheit und Einheit zu wahren. Selenskyj hatte sich in den vergangenen Monaten massiv für eine Beitrittsperspektive starkgemacht. Er bekräftigte nun in seiner täglichen Videoansprache, dass die Ukraine in der Lage sei, ein vollwertiges EU-Mitglied zu werden. Russische Truppen stoßen bis an Stadtrand von Lyssytschansk vor Im Osten der Ukraine drangen russische Truppen nach ukrainischen Angaben bis an den Stadtrand der Großstadt Lyssytschansk vor. „Unsere Kämpfer haben den Vorstoß in Richtung der südlichen Ränder von Lyssytschansk aufgehalten, dem Feind Verluste zugefügt und ihn zum Rückzug gezwungen“, hieß es am Donnerstagabend im Lagebericht des Generalstabs in Kiew. Die russische Armee ziehe nun Reserven heran. Lyssytschansk ist die letzte größere Stadt im Gebiet Luhansk, die völlig unter ukrainischer Kontrolle steht. Die Zwillingsstadt Sjewjerodonezk auf der anderen Seite des Flusses Siwerskyj Donez ist größtenteils von russischen Truppen erobert. Am Donnerstagmorgen wurde bekannt, dass südlich von Lyssytschansk eine ukrainische Gruppierung in den Ortschaften Solote und Hirske eingekesselt ist. Am Abend teilte das ukrainische Militär mit, dass die russischen Truppen Hirske inzwischen teilweise erobert hätten. Dem Bericht zufolge konnten sie den Kessel komplett schließen. USA sagen Ukraine weitere Waffen für 450 Millionen Dollar zu Die USA kündigten weitere Waffenlieferungen an die Ukraine im Umfang von 450 Millionen Dollar (etwa 428 Millionen Euro) an. Dazu gehörten auch Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesysteme und Patrouillenboote, sagte ein hochrangiger Vertreter des Weißen Hauses, John Kirby. Die USA haben dem von Russland angegriffenen Land in den bisherigen vier Kriegsmonaten nach eigenen Angaben Waffen und Ausrüstung im Wert von rund 6,1 Milliarden Dollar zugesagt oder bereits geliefert. Die Regierung in Kiew bittet um mehr moderne Waffen, um die militärische Überlegenheit russischer Truppen einzudämmen. Weißes Haus: G7-Gipfel soll Russland weiter isolieren US-Präsident Joe Biden reist an diesem Samstag zum G7-Gipfel, der von Sonntag bis Dienstag im Schloss Elmau in Bayern stattfindet. Kirby nannte als Ziele des Gipfels, „Russland weiter von der Weltwirtschaft zu isolieren, die russische Rüstungslieferkette ins Visier zu nehmen und weiter gegen die Umgehung dieser beispiellosen Sanktionen vorzugehen“. Nach dem G7-Treffen reist Biden zu einem Nato-Gipfel nach Madrid. Auch dort wird der Ukraine-Krieg im Mittelpunkt stehen. Nike kündigt Rückzug aus Russland an Der weltgrößte Sportartikelkonzern Nike will sich angesichts des andauernden Krieges gegen die Ukraine komplett aus Russland zurückziehen. „Nike hat die Entscheidung getroffen, den russischen Markt zu verlassen“, teilte das US-Unternehmen mit. Priorität habe nun, die Beschäftigten vor Ort zu unterstützen, während der Betrieb in den kommenden Monaten heruntergefahren werde. Der Adidas-Konkurrent hatte seine Geschäfte in Russland - wie viele andere westliche Unternehmen - bereits nach dem Einmarsch in die Ukraine deutlich eingeschränkt. Inzwischen wollen immer mehr Firmen Russland ganz den Rücken kehren. Ukrainische Verteidiger ziehen sich aus Sjewjerodonezk zurück Vier Monate nach Kriegsbeginn hat die Ukraine den Rückzug ihrer Truppen aus der umkämpften Stadt Sjewjerodonezk im Osten des Landes angeordnet. Das sagte der Gouverneur des Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, am Freitag im Fernsehen. Sjewjerodonezk zählte bislang zu den letzten Teilen von Luhansk, die noch nicht von russischen und prorussischen Kämpfern erobert waren. „Es ist jetzt eine Situation, in der es keinen Sinn macht, in zerschlagenen Stellungen auszuharren“, so Hajdaj. Die Zahl der Toten würden dann stark steigen. „Deshalb haben unsere Verteidiger, die dort sind, bereits den Befehl erhalten, sich in neue Positionen zurückzuziehen und von dort aus normale, vollwertige Militäroperationen durchzuführen.“ Den Angaben des Gouverneurs zufolge sind in Sjewjerodonezk mittlerweile bis zu 90 Prozent der Häuser zerstört. Das wird am Freitag wichtig Beim EU-Gipfel werden die hohe Inflation und steigende Energiepreise zum Thema, die zu den Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gehören. Die militärische Lage rund um Lyssytschansk wird weiter im Mittelpunkt stehen, weil Russland dort den Weg zur Kontrolle über das gesamte Gebiet Luhansk freimachen könnte. Kurz vor dem G7-Gipfel rückt die Bundesregierung bei einer Konferenz in Berlin die weltweite Ernährungslage und die Suche nach Lösungen für blockierte Getreideausfuhren aus der Ukraine in den Blick.

DPA