Wiener Übereinkommen gibt der Türkei recht
Der türkische Präsident Erdoğan hat das Außenministerium beauftragt, zehn Botschafter, darunter auch den deutschen, als „unerwünschte Person“ zu deklarieren. Gemäß Wiener Übereinkommen ist das Vorgehen des türkischen Präsidenten durchaus legitim.
23. Oktober 2021: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (AA)

Seit 2017 sitzt der in Paris geborene Geschäftsmann Osman Kavala in türkischer Haft, und westliche Politiker forderten seitdem seine Freilassung. Ihm wird vorgeworfen, vor allem bei den Gezi-Protesten 2013 und dem Putschversuch 2016 eine große Rolle gespielt zu haben. Letzte Woche riefen zehn Botschafter, darunter auch die aus Deutschland und den USA, zur Freilassung Kavalas auf. Das türkische Außenministerium bestellte daraufhin diese zehn Botschafter ein.

Deutsche Politiker verlangen Sanktionen – Botschaft eher zurückhaltend

Nach den Äußerungen von Präsident Erdoğan forderten Politiker aus Deutschland harte Maßnahmen. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir forderte, der Westen und die EU sollten sich weiter für die Freilassung Kavalas einsetzen. Die Linken-Politikerin Sevim Dağdelen forderte sogar als Konsequenz, man solle den türkischen Botschafter aus Deutschland ausweisen. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth forderte wirtschaftliche Sanktionen und den Stopp von Rüstungsexporten in die Türkei. Der FDP-Außenpolitiker Alexander G. Lambsdorff tätigte eher mildere Aussagen, indem er behauptete, die Ausweisung der Botschafter sei „undiplomatisch und unklug“ und schwäche das Bündnis. Der CDU-Außenpolitikexperte Norbert Röttgen sprach von „außenpolitischer Eskalation“. Die deutsche Botschaft äußerte sich eher zurückhaltend und äußerte in ihrer Stellungnahme, man habe die Äußerungen der türkischen Seite zur Kenntnis genommen und werde sich mit den anderen Botschaften beraten.

Die Äußerungen von Politikern verschiedener Parteien zeigen eines: Während Vertreter der traditionellen Parteien CDU und FDP eher diplomatische Äußerungen tätigten, ließen Vertreter von Parteien aus dem linken Spektrum Aussagen verlautbaren, welche die Situation weiter eskalieren lassen. Vertreter von Grünen und Linken sind ohnehin für Anti-Türkei-Aussagen bekannt. Doch sind diese Äußerungen keinesfalls lösungsorientiert. Dass die Grünen zukünftig in der Regierung einen Platz einnehmen und höchstwahrscheinlich sogar den/die Außenminister/in stellen werden, würde die zwischenstaatlichen Beziehungen nur noch problematischer gestalten – nicht nur für die Türkei, sondern auch für Deutschland. Die Türkei wird mit einem Land diplomatische Beziehungen führen müssen, dessen Vertreter in der Außenpolitik, im Vergleich zur Merkel-Ära, noch offensivere und provokantere Aussagen tätigen werden. Auf der anderen Seite werden vor allem diplomatische Vertreter aus Deutschland Schwierigkeiten haben, die Aussagen der deutschen Politiker mit diplomatischem Geschick auszugleichen, um die Beziehungen nicht weiter zu beschädigen.

Wiener Übereinkommen von 1961 gibt der Türkei recht

Das am 18. April 1961 unterzeichnete Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD) ist ein völkerrechtlicher, international anerkannter Vertrag, der die diplomatischen Beziehungen zwischen Staaten regelt. Das Übereinkommen regelt die Ernennung von Botschaftern, die Immunitäten und Vorrechte der Diplomaten, die Unverletzlichkeit der diplomatischen Mission und den Schutz des diplomatischen Kuriers. Dieses Übereinkommen haben 193 Länder (Stand: 1.7.2021) unterzeichnet.

Laut WÜD haben Diplomaten Rechte und Pflichten. Eines der wichtigsten Rechte ist die Unverletzlichkeit und Immunität der Diplomaten. Dies kann man wie folgt in Artikel 41 Absatz 1 des Übereinkommens nachlesen:

„Alle Personen, die Vorrechte und Immunitäten genießen, sind unbeschadet derselben verpflichtet, die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften des Empfangsstaats zu beachten. Sie sind ferner verpflichtet, sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einzumischen.“

Doch im letzten Satz des Absatzes ist auch zu sehen, dass Diplomaten verpflichtet sind, sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Empfängerstaates einzumischen. Diplomaten dürfen also ihren Empfängerstaat, in diesem Fall die Türkei, nicht zu etwas auffordern, das die innenpolitischen Angelegenheiten betrifft. Osman Kavala ist ein türkischer Staatsbürger, der in der Türkei verhaftet wurde. Das bedeutet, dass dieser Fall nur den türkischen Staat betrifft und kein ausländischer Diplomat sich in irgendeiner Form hier einmischen darf. Der Aufruf der Diplomaten ist damit sogar verboten, da er gegen ihre für sie auferlegten Pflichten verstößt.

Was die Äußerungen des türkischen Präsidenten betrifft, so berufen sich Erdoğan und das türkische Außenministerium auf Artikel 9 Absatz 1 des Übereinkommens:

„Der Empfangsstaat kann dem Entsendestaat jederzeit ohne Angabe von Gründen notifizieren, dass der Missionschef oder ein Mitglied des diplomatischen Personals der Mission persona non grata oder dass ein anderes Mitglied des Personals der Mission ihm nicht genehm ist. In diesen Fällen hat der Entsendestaat die betreffende Person entweder abzuberufen oder ihre Tätigkeit bei der Mission zu beenden. Eine Person kann als non grata oder nicht genehm erklärt werden, bevor sie im Hoheitsgebiet des Empfangsstaats eintrifft.“

Das bedeutet, dass die Türkei nicht einmal einen Grund angeben muss, um einen Diplomaten als persona non grata zu erklären. Weil die Botschafter aber sogar gegen das Abkommen verstoßen haben, ist die Reaktion der Türkei völlig legitim und im rechtlichen Rahmen. Die US-Botschaft hat am Montagabend auf Twitter mitgeteilt, man werde sich an die Vorgaben von Artikel 41 halten. Die Botschaften von Kanada, Neuseeland und der Niederlande gaben eine ähnliche Erklärung ab. Die deutsche und die französische Botschaft hingegen retweeteten den Tweet der US-Botschaft. Die türkische Anadolu Agency wertet dies als Zugeständnis und dahingehend, dass die Botschaften nachgeben würden.

Aufruf der Botschafter nicht glaubwürdig

Trotz dieser Erklärungen sollte man in diesem Zusammenhang hinterfragen, warum die Botschafter, insbesondere der deutsche, in Absprache mit ihrer Regierung diesen Aufruf unterzeichnet haben. Merkel besuchte noch vor Kurzem die Türkei und sprach von der Bedeutung der deutsch-türkischen Beziehungen. Die Situation könnte auch die aktuellen Koalitionsverhandlungen beeinflussen, in der dann auch über die außenpolitische Strategie gegenüber der Türkei gesprochen wird. Auch ist es auffällig, dass dieser Aufruf, federführend von den USA, kurz vor dem G-20 Gipfel gemacht wurde. Beim G-20 Gipfel wird Erdoğan den amerikanischen Präsidenten Joe Biden treffen.

Auf der anderen Seite sollte man auch hinterfragen, warum die Diplomaten dieser Staaten keine ähnlichen Äußerungen zur Situation anderer „Menschenrechtsaktivisten“ wie Julian Assange oder Edward Snowden tätigen. Osman Kavala ist Gründer des türkischen Zweigs der Open Society Foundation, gegründet von George Soros. Soros wird vor allem von osteuropäischen Regierungen als Feindbild angesehen, weil er, unterstützt vom Westen, versucht diese zu stürzen. Kavala ist für die westlichen Länder eine wichtige Bezugsperson, um ihre Interessen innenpolitisch durchsetzen zu können. Hier wird deutlich, dass es den diplomatischen Vertretern nicht um Menschenrechte geht, sondern eine politische Agenda verfolgt wird. Dies verstößt offensichtlich gegen das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen.

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