Wie effektiv ist der Kampf gegen Diskriminierung in Deutschland?
Steigende Diskriminierungsfälle, unzureichende Unterstützungsdienste und gesetzliche Lücken sorgen für eine unsichere Zukunft für Muslime und andere benachteiligte Gruppen. Was muss die Regierung ändern?
10.09.2024, Berlin: Broschüren mit dem Titel „Diskriminierung in Deutschland“, aufgenommen während einer Pressekonferenz zur Vorstellung des Fünften Gemeinsamen Berichts der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Bundestages. / Foto: DPA (DPA)

Während die Diskriminierung von Muslimen in Deutschland stetig zunimmt, müssen die sozialen, rechtlichen und politischen Dimensionen dieses Problems genauer untersucht werden. Ferda Ataman, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, betont, Muslime in Deutschland würden stark diskriminiert und die bestehenden rechtlichen Schutzmaßnahmen seien unzureichend. Sie fordert die Bundesregierung zu entschiedeneren Maßnahmen auf. Erstmals haben alle acht Mitglieder der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gemeinsam den Bericht „Diskriminierung in Deutschland“ vorgelegt, der einen umfassenden Überblick über die aktuelle Situation bietet.

Stand der Diskriminierung und rechtliche Defizite

In diesem Jahr feiert das Grundgesetz sein 75-jähriges Bestehen. Obwohl Artikel 3 Diskriminierung eindeutig verbietet, hat die Zahl der Diskriminierungsfälle in Deutschland in den letzten Jahren zugenommen. Besonders besorgniserregend ist der Anstieg islamfeindlicher Vorfälle und Diskriminierungen gegen Migrant*innen. Zwischen 2021 und 2023 haben etwa 20.600 Menschen ihre Diskriminierungserfahrungen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gemeldet. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wird jedoch dafür kritisiert, dass es Diskriminierung zwischen staatlichen Institutionen und dem privaten Sektor nicht ausreichend verhindere.

Die Bundesregierung wird dafür kritisiert, dass sie keine Reformen durchgeführt habe, um den Anwendungsbereich des AGG zu erweitern und Gleichheit in der Praxis zu gewährleisten. Im Bericht von Ataman wird deutlich aufgezeigt, welche Schritte die Regierung unternehmen sollte und wo das AGG nachgebessert werden müsse. Dies kann als Zeichen dafür gewertet werden, dass die Regierung gesellschaftliche Gleichheit und Gerechtigkeit nicht ausreichend priorisiert. Es weist auch auf die Mängel in den Anti-Diskriminierungspolitiken hin und macht deutlich, dass die Regierung proaktivere und entschlossenere Maßnahmen ergreifen muss. Laut einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gaben zwei Drittel der Beratungsstellen an, dass die ihnen zugewiesenen Mittel 2022 nicht ausreichten, um ihre Beratungsaufgaben zu erfüllen. Dies zeigt, dass die Budgets für den Kampf gegen Diskriminierung erhöht werden müssen.

Hauptprobleme: Diskriminierung von Migrantinnen und Musliminnen sowie Racial Profiling

Der Bericht zeigt, dass Migrantinnen und insbesondere Musliminnen in Deutschland häufig im Dienstleistungssektor mit Rassismus konfrontiert sind. Die Zahl der Beschwerden aufgrund von Diskriminierung aus rassistischen und antisemitischen Gründen bleibt hoch. Besonders schwarze Menschen und „People of Color“ (PoC) erleben rassistische Beleidigungen und „Racial Profiling“, wie zum Beispiel Taschenkontrollen im Supermarkt, nur weil sie schwarz sind. Muslimische Individuen erleben aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes oder ihrer vermeintlichen ethnischen Herkunft ähnliche Diskriminierungen. Oftmals wird auch von intersektioneller Diskriminierung berichtet, wenn zum Beispiel junge Männer aufgrund der Annahme, sie seien Muslime, nicht in Clubs gelassen werden.

Um solche Vorfälle zu verhindern, muss das AGG umfassender umgesetzt und müssen schärfere Maßnahmen gegen rassistische Profilierungspraktiken der Polizei ergriffen werden. Auch im Bildungs- und Berufsleben ist die Zahl der Diskriminierungsfälle hoch. Studien zeigen, dass in diesen beiden Bereichen die meisten Anfragen an Beratungsstellen zu Diskriminierungserfahrungen gestellt werden. Dies macht deutlich, dass stärkere Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung in Bildung und Arbeitsleben erforderlich sind.

Zunahme von Hassrede und Diskriminierung in digitalen Medien

In den letzten Jahren haben Hassreden und Diskriminierung auf digitalen Plattformen rapide zugenommen. Besonders Hassreden gegen Migrant*innen und Desinformationskampagnen bereiten den Boden für Online-Radikalisierung und das Erstarken der extremen Rechten. Die aktive Nutzung digitaler Plattformen durch rechtsextreme Gruppen hat einen wesentlichen Einfluss auf Wahlergebnisse wie das der Alternative für Deutschland (AfD), die in Thüringen als stärkste und in Sachsen als zweitstärkste Kraft hervorging.

Die Bundesregierung muss dringend effektivere Strategien entwickeln, um Hassreden und Diskriminierung in digitalen Medien zu bekämpfen. Die bisherigen Maßnahmen sind unzureichend und verschärfen die gesellschaftliche Polarisierung. Während Social Media Unternehmen schneller und entschiedener gegen die Verbreitung von Hassreden vorgehen sollten, bleibt die Regierung in ihrer Verantwortung, diese Unternehmen strenger zu regulieren, hinter den Erwartungen zurück.

Stärkung von Unterstützungsangeboten für Diskriminierungsopfer

Angesichts der traumatischen und belastenden Erfahrungen von Diskriminierungsopfern müssen die Unterstützungsdienste für diese Menschen umfassender und zugänglicher gestaltet werden. Besonders für Menschen mit Behinderungen und andere vulnerable Gruppen ist es notwendig, Barrieren im Zugang zu Gesundheitsdiensten zu beseitigen und umfassendere Strategien für Diskriminierte am Arbeitsplatz zu entwickeln. Die Bundesregierung muss mehr Verantwortung übernehmen und Institutionen stärken, die die Rechte von Diskriminierungsopfern schützen und unterstützen. Es sollten auch spezifische gesetzliche Regelungen gegen Diskriminierung aufgrund des sozialen Status entwickelt werden. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit breit gefasster rechtlicher Regelungen, um solche Formen der Diskriminierung zu verhindern.

Angesichts der zunehmenden Diskriminierung und der Angriffe auf Muslim*innen in Deutschland muss die Bundesregierung die von der Antidiskriminierungsstelle vorgeschlagenen politischen Maßnahmen und Gesetzesänderungen dringend prüfen. Sie sollte eine stärkere nationale Aktionsstrategie entwickeln, um den Kampf gegen Diskriminierung anzuführen, strengere Regelungen zur Eindämmung von Hassreden in digitalen Medien einführen und die Unterstützungsdienste für Diskriminierungsopfer stärken. Außerdem müssen konkrete Schritte unternommen werden, um die Anti-Diskriminierungspolitiken in staatlichen Institutionen zu reformieren. Die deutsche Regierung muss proaktiver und entschlossener handeln, um sicherzustellen, dass alle Teile der Gesellschaft gleich und gerecht geschützt werden.

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