Aufgrund der rasanten und kurzfristigen Umbrüche in den digitalen Medien ist es unumgänglich, die bestehenden gesetzlichen Regelungen in diesem Bereich mit jeder neuen Entwicklung zu überarbeiten und einen angepassten, verbindlichen, gesetzlichen Rahmen zu schaffen. Aus diesem Grund werden auf nationaler und überstaatlicher Ebene, etwa in der EU, immer wieder wichtige Debatten über die Notwendigkeit neuer Regelungen in diesem Bereich geführt, wobei von sogenannten Roadmaps mit teils protektionistischem Charakter die Rede ist. Auch Türkiye steht an dieser Stelle nicht zurück und hat zu diesem Zweck insbesondere in den letzten zwei, drei Jahren wichtige Schritte unternommen, wobei das Land mit gesetzlichen Regelungen für die Betreiber von sozialen Netzwerken danach strebt, seine digitale Souveränität zu festigen.
So hat Türkiye 2019 mit der Lizenzierung von Plattformen wie Netflix begonnen, die nur über das Internet veröffentlichen, und mit dem Erlass einer Verordnung für die Wiederherstellung des Gleichgewichts der Wettbewerber im türkischen Markt gesorgt. 2020 verabschiedete das Land ein erstes Gesetz zur Regulierung von Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram, TikTok, YouTube und Pinterest, die täglich mehr als eine Million Zugriffe aus Türkiye haben. Diese wurden auf diese Weise gezwungen, Anfragen, die bei Plattformen im Zusammenhang mit diesem Gesetz gestellt werden, in türkischer Sprache zu beantworten sowie auf Beschwerden hinsichtlich der Verletzung der Privatsphäre von Einzelpersonen innerhalb von achtundvierzig Stunden zu reagieren. Ebenso wird mit diesem Gesetz eine wichtige Regelung zum Speicherort gesammelter Daten getroffen. Dementsprechend sind die oben genannten Betreiber sozialer Netzwerke verpflichtet, die Daten ihrer Nutzer in Türkiye innerhalb der Landesgrenzen zu verwahren. Eine weitere wichtige Regelung des Gesetzes besagt, dass die Anbieter von sozialen Netzwerken mit täglich mehr als einer Million Zugriffen verpflichtet sind, einen Vertreter zu benennen und eine Repräsentanz in Türkiye zu eröffnen.
Die rasant voranschreitende Digitalisierung und ein damit nicht Schritt haltender rechtlicher Rahmen sowie die Tatsache, dass die genannten Unternehmen einschlägige Gesetzeslücken zu ihren Gunsten ausnutzen, machen neue Regelungen unumgänglich. Aus dieser Sicht ist der von AK-Partei und MHP im vergangenen Monat in der Großen Nationalversammlung eingebrachte „Gesetzentwurf zur Änderung des Pressegesetzes und einiger weiterer Gesetze“ zur Bekämpfung von Desinformation Anlass lebhafter Diskussionen in der zuständigen parlamentarischen Kommission.
Was bezweckt der Gesetzentwurf?
Mit dem nun vorgelegten Gesetzentwurf sollen die unter falschem Namen und mittels Fake-Accounts erstellten und geteilten Inhalte, die Personen mit abweichenden politischen Meinungen, unterschiedlichen Religionen oder Nationalitäten beschimpfen, verleumden, beleidigen oder diskreditieren, unterbunden und so die Ursachen für die Verbreitung von Hass und Diskriminierung eliminiert werden. Dabei ist das wichtigste Instrument in dem Gesetzentwurf die Definition eines neuen Straftatbestands „Öffentliche Verbreitung irreführender Informationen“ im türkischen Strafgesetzbuch. Unter diese Definition fallen alle diejenigen, die offen falsche Informationen zur inneren und äußeren Sicherheit verbreiten, die die öffentliche Ordnung und die allgemeine Stabilität des Landes in einer Weise gefährden, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, um damit Angst, Furcht oder gar Panik zu schüren.
Ein weiterer herausragender Punkt des Gesetzentwurfs ist, dass es nunmehr nicht mehr ausreicht, dass die von den Betreiberplattformen bestellten Repräsentanten türkische Staatsbürger sind, sondern diese auch in Türkiye wohnhaft sein müssen. 2020 wurde zwar wie schon vorgetragen die Pflicht zur Bestellung eines Vertreters eingeführt, aber die genannten Plattformen nutzten eine Lücke in dem Gesetz aus und beauftragten juristische Personen mit ihrer Vertretung. Sobald dieser Gesetzentwurf verabschiedet wird, wird diese Lücke geschlossen und es kommt ein direkter Kontakt zwischen den zuständigen Institutionen von Türkiye und den Repräsentanten der Betreiber sozialer Netzwerke zustande.
Für den Fall, dass gerichtlich getroffene Entscheidungen zur Entfernung von Inhalten und/oder Sperrung des Zugangs von den genannten Unternehmen nicht umgesetzt werden, sieht der vorgelegte Gesetzentwurf Werbeverbote von bis zu 6 Monaten für die Plattformen vor. Bei einem Verstoß gegen das Werbeverbot müssen die betroffenen Unternehmen mit empfindlichen Bußgeldern rechnen.
Historischer Schritt für Nachrichtenseiten im Internet
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Gesetzentwurfs liegt darin, dass eine geradezu revolutionäre Regelung für Nachrichtenseiten im Internet vorgesehen ist. So werden die erwähnten Nachrichtenseiten im Internet in den Geltungsbereich des geltenden „Pressegesetzes“ unter der Kategorie „Zeitschriften“ aufgenommen. Ebenso ist vorgesehen, das Beschäftigungsverhältnis von hier tätigen Journalisten unter Schutz zu stellen und sie gemäß dem Pressearbeitsgesetz sozial abzusichern. Bei diesem in der Öffentlichkeit gelegentlich unter der Überschrift „Zensur“ diskutierten Gesetzentwurf handelt es sich also eigentlich um eine Regelung, die in vielen Teilen der Welt, insbesondere in Europa, im Rahmen der Desinformationsbekämpfung zur Anwendung kommt. Nationale und überstaatliche Einrichtungen sehen es dabei als ihre Pflicht an, die Betreiber sozialer Netzwerke zu regulieren und damit antidemokratische Bedrohungen, die über diese Kanäle verbreitet werden könnten, zu bekämpfen. Staaten, die sich dieser Herausforderung stellen und entsprechende Maßnahmen ergreifen, sichern damit ihre Souveränität auch im digitalen Bereich und schaffen eine solide Grundlage, um Bedrohungen im digitalen Bereich abzuwehren.