Scholz und sein Besuch in China: Annäherung oder Distanzierung?
Hat der Besuch von Bundeskanzler Scholz in China neue diplomatische und wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet oder bestehende Spannungen verschärft? Wie wird Deutschland mit diesen Herausforderungen umgehen?
16.04.2024, China, Peking: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird von Li Qiang (l), Ministerpräsident von China, mit militärischen Ehren vor der Großen Halle des Volkes empfangen. Der Besuch in Peking ist Abschluss der dreitägigen Reise von Scholz durch China. / Photo: DPA (DPA)

Der dreitägige Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in China, begleitet von einer Delegation, die aus vielen Geschäftsleuten bestand, stellte einen wichtigen Wendepunkt sowohl wirtschaftlich als auch strategisch dar, besonders in einer Zeit, in der die Beziehungen zwischen den beiden Ländern häufig debattiert wurden.

Dass dies die längste Auslandsreise von Scholz während seiner Amtszeit als Bundeskanzler war, war ein Zeichen für die Bedeutung des Besuchs und bot eine Gelegenheit, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern gründlich zu diskutieren.

Der Besuch wurde von Experten als Zeichen dafür gesehen, dass Deutschland seine Beziehungen zu China nachhaltiger und ausgewogener gestalten will. Jedoch stellten der zunehmende Handel zwischen Deutschland und China, die gegenseitigen Direktinvestitionen sowie die Tatsache, dass Deutschland wirtschaftlich zunehmend abhängiger von China wird, im Verbund mit den sehr unterschiedlichen Ansichten zum Russland-Ukraine-Krieg grundlegende Spannungen zwischen den beiden Ländern dar.

Daher könnte man sagen, dass Scholz’ Besuch auch im Widerspruch zu dem Ziel Deutschlands stand, seine wirtschaftliche Unabhängigkeit von China zu forcieren. Angesichts des monatlich steigenden Handelsvolumens zwischen den beiden Ländern lässt sich sagen, dass der Besuch nicht nur von wirtschaftlicher, sondern auch von strategischer Bedeutung war.

Die Bedeutung des Handels in den deutsch-chinesischen Beziehungen

Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und China spielen eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung beider Nationen. Deutschland zählt zu den größten Handelspartnern Chinas, wobei im Jahr 2023 ein Handelsvolumen im Wert von 254 Milliarden Euro zwischen den beiden Ländern erreicht wurde. Etwa 5.000 deutsche Unternehmen sind in China aktiv. Laut vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes betrug der Warenverkehr zwischen Deutschland und der Volksrepublik China im Jahr 2023 insgesamt 254,1 Milliarden Euro (Exporte und Importe), womit China zum achten Mal in Folge als Deutschlands wichtigster Handelspartner galt. Die Vereinigten Staaten und die Niederlande folgten auf den Plätzen zwei und drei mit Handelsvolumina von 252,6 Milliarden bzw. 220,4 Milliarden Euro. Diese Statistiken verdeutlichen die vitale Bedeutung Chinas für die deutsche Wirtschaft.

Die ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Angela Merkel maßen den Handelsbeziehungen zu China große Bedeutung bei. Unter Scholz’ Führung werden die Beziehungen zwar fortgesetzt, jedoch gibt es intensive Diskussionen über eine wirtschaftliche Unabhängigkeit von China. Scholz strebt eine Verringerung der Abhängigkeit von China an, möchte jedoch gleichzeitig, dass deutsche Unternehmen in China mehr Geschäfte machen und mehr Aufträge aus China erhalten. Eine Umfrage ergab, dass zwei Drittel der deutschen Unternehmen Wettbewerbsnachteile in China sehen, welche Scholz zu beseitigen versucht.

Im Juli 2023 wurde die China-Strategie der Bundesregierung veröffentlicht. Sie beschreibt die wirtschaftlichen Beziehungen wie folgt: „China ist Deutschlands größter einzelner Handelspartner, wobei die Abhängigkeiten Europas von China stetig abnehmen, während die Abhängigkeiten Deutschlands von China in den letzten Jahren zugenommen haben.“ Die Bundesregierung betrachtet China als „Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen“ und zielt darauf ab, die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit China „fairer, nachhaltiger und reziproker“ zu gestalten. Doch stellt diese wirtschaftliche Abhängigkeit eine Einschränkung für Deutschlands Handlungsspielraum in der internationalen Politik dar?

Menschenrechte und diplomatische Sensibilität: Ist Deutschlands Haltung aufrichtig?

Deutschland versucht, in seinen Beziehungen zu China die Menschenrechtskarte als ein Element des Ausgleichs zu spielen. Organisationen wie der Weltkongress der Uiguren fordern von Deutschland mutigere Schritte. Es wird debattiert, ob die politischen Maßnahmen der deutschen Regierung in dieser Angelegenheit ausreichend wirksam sind. Der Weltkongress der Uiguren hatte Bundeskanzler Scholz in einem Brief aufgefordert, gegenüber der chinesischen Regierung die Menschenrechtsfragen in Tibet, Ostturkestan, Hongkong, Südmongolei und China anzusprechen. In dem Brief wurde Scholz dazu aufgerufen, die Rechte der in Deutschland lebenden Tibeter, Uiguren, Hongkonger und Chinesen zu schützen. In Bezug auf Taiwan nehmen Deutschland und China sehr unterschiedliche Positionen ein, was manchmal zu ernsthaften Problemen führt.

Die Koalitionspartner, die Grünen und die Freie Demokratische Partei (FDP), fordern eine klare Haltung gegen China aufgrund von Menschenrechtsverletzungen und der Situation der Uiguren, Hongkongs und Taiwans. Selbst die Außenministerin der Grünen, Annalena Baerbock, hat durch die Bezeichnung des chinesischen Staatspräsidenten Xi als „Diktator“ die Spannungen in den bilateralen Beziehungen verschärft. Jedoch behindert die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands unabhängiges Handeln in politischen Angelegenheiten. Die zentrale Frage ist daher: Misst Deutschland den Menschenrechten in diesen Ländern wirkliche Bedeutung bei oder verwendet es sie lediglich als Instrument, um seine wirtschaftliche Abhängigkeit von China auszugleichen?

Strategische Partnerschaft oder systemischer Wettbewerb mit China?

Deutschlands Charakterisierung Chinas als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ verdeutlicht die Komplexität und Mehrdimensionalität der bilateralen Beziehungen. Diese Charakterisierung ist ein Indikator dafür, dass Deutschland seine Beziehungen zu China nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im strategischen und sicherheitspolitischen Kontext bewertet. Wie plant Deutschland, diese dreischichtige Beziehung zu managen?

Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen und wird voraussichtlich weiter steigen. Besonders im Automobilsektor, einem der wichtigsten Bereiche der deutschen Wirtschaft, dringt China schnell in die deutschen und europäischen Märkte ein. Vor allem in der Elektrofahrzeugbranche zeigt Chinas Führungsrolle, dass diese Abhängigkeit nicht nur auf den Handel mit Waren beschränkt ist. Dies verdeutlicht, dass die Abhängigkeit Deutschlands von China auch in Bezug auf Technologietransfer und Innovation zunimmt. Wie wird es die deutsche Wirtschaft beeinflussen, wenn in naher Zukunft auf Deutschlands Straßen mehr Elektrofahrzeuge aus China als von Mercedes, VW und BMW zu sehen sind?

Deutschlands geopolitische Strategie: Atlantik oder Asien?

In den Beziehungen Deutschlands zu China spielen die USA zweifellos eine entscheidende Rolle. Deutschland muss seine Beziehungen zu China unter Berücksichtigung seiner Beziehungen zu den USA und anderen westlichen Verbündeten gestalten. Daher ist Deutschland bei jeder wirtschaftlichen oder politischen Maßnahme gegenüber China auch von seinen westlichen Verbündeten abhängig. Somit kann man sagen, dass Deutschland sowohl von den USA als auch von China abhängig ist. Kann Deutschland jedoch die „demokratischen Werte und strategischen Interessen“ des Westens gegenüber China verteidigen, während der Handel zunehmend eine Abhängigkeitsbeziehung darstellt? Es scheint, dass Deutschland keine andere Wahl hat, als eine ausgewogene Politik zwischen dem Atlantik und Asien zu verfolgen. Doch ist eine solche Balancepolitik wirklich möglich?

Deutschlands Beziehungen zu China bieten einerseits bedeutende wirtschaftliche Chancen, bringen andererseits aber auch strategische und ethische Herausforderungen mit sich. Der Besuch von Scholz und die anschließenden Entwicklungen werden wichtige Hinweise darauf geben, wie Deutschland diese Balance herstellen wird.

Die Politik, die Deutschland gegenüber dem Westen oder China verfolgt, wird zeigen, ob Deutschland eine globale Führungsrolle aus politischer Sicht einnehmen kann oder nicht. Andererseits ist dies nicht nur eine Frage der Außenpolitik, sondern kann auch erhebliche Auswirkungen auf die Innenpolitik haben, da sowohl die Koalitionsregierung als auch die Öffentlichkeit Deutschlands abhängige Politik gegenüber den USA und die wirtschaftliche Abhängigkeit von China ernsthaft diskutieren. Das Erreichen einer Balance erfordert sowohl wirtschaftlich als auch politisch große Fähigkeiten. Aber besitzt die deutsche politische Elite diese Fähigkeiten?

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