Orbáns Friedensmission: neuer Weg vs. traditionelle Strategien der EU?
Können Viktor Orbáns diplomatische Initiativen den Frieden im Russland-Ukraine-Krieg fördern? Sind die aktuellen Strategien der EU ausreichend, oder bedarf es eines neuen Ansatzes?
Der ungarische Premierminister Viktor Orbán zu Besuch bei dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. / Photo: DPA (DPA)

Am 1. Juli hat Ungarn unter Leitung von Premierminister Viktor Orbán die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union (EU) übernommen. Als einer der umstrittensten Staatschefs der EU hat Orbán verschiedene diplomatische Initiativen ergriffen, die insbesondere die internen Dynamiken und internationalen Beziehungen der EU tiefgreifend beeinflussen. Orbáns als „Friedensmission“ bezeichnete diplomatische Schritte haben innerhalb der EU zu unterschiedlichen Reaktionen geführt und die zukünftigen Strategien der Union in Frage gestellt.

Orbáns unerwartete diplomatische Manöver

Gleich nach Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft traf sich Orbán am 2. Juli in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Kurz darauf, am 5. Juli, besuchte er Moskau und traf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Diese Besuche stießen auf Kritik seitens der EU-Spitze und einiger Mitgliedstaaten. Orbáns diplomatische Initiativen, die er als „Friedensmission“ bezeichnet, wurden von EU-Vertretern kritisiert. Die Botschafter der EU-Länder verurteilten Orbáns Handlungen und betonten, sie schadeten der Einheit der EU und verstießen gegen die Abkommen.

Nach dem NATO-Gipfel in Washington traf Orbán im Rahmen seiner „Friedensmission“ auch den ehemaligen US-Präsidenten und republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Orbán nannte das Treffen „Friedensmission 5.0“.

Orbáns „Friedensmission“

Orbán lobte die Bemühungen von Türkiye zur Friedensfindung im Russland-Ukraine-Krieg und hob die unverzichtbare Rolle von Türkiye in den Friedensverhandlungen hervor. Er betonte den Erfolg des türkischen Präsidenten Erdoğan bei den Verhandlungen über das Schwarzmeer-Getreideabkommen: „Präsident Erdoğan war der einzige erfolgreiche Staatsmann, der das Russland-Ukraine-Abkommen abschließen konnte.“ Trotz der bedeutenden Spaltungen zwischen den Kriegsparteien unterstrich Orbán, die gemeinsamen Anstrengungen der Friedensbefürworter könnten Fortschritte in Richtung einer Lösung bewirken, und bat den türkischen Präsidenten, Ungarns Friedensmission zu unterstützen.

Bedeutung der EU-Ratspräsidentschaft und Orbáns Ziel

Orbán argumentiert, EU und NATO hätten im Russland-Ukraine-Krieg versagt und die seit zweieinhalb Jahren verfolgte Strategie sei nicht richtig. Während er sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik von anderen EU-Ländern häufig kritisiert wird, erscheint seine Sichtweise im Kontext des Russland-Ukraine-Krieges nicht ganz unbegründet.

Nach Beginn des Russland-Ukraine-Krieges hat die EU rasch versucht, harte Sanktionen gegen Russland zu verhängen, die Beziehungen zu Russland auf ein Minimum zu reduzieren und russische Sportteams und Athleten von EU-Wettbewerben auszuschließen. Die UEFA hat Russland sogar von der EURO 2024 ausgeschlossen. Wirtschaftliche, politische und kulturelle Sanktionen wurden verhängt, und die Vermögenswerte russischer Oligarchen in Europa wurden eingefroren. Doch was haben diese Sanktionen bewirkt?

Auswirkungen der Sanktionen auf Russland

Hat Russland unter den Sanktionen der EU gelitten? Die Wirtschaft Russlands wuchs im Jahr 2023 um 2,2 Prozent und wird für 2024 auf ein Wachstum von 1,1 Prozent geschätzt. Die Sanktionen haben Russlands Wachstum nicht gebremst. Der Krieg, der nun seit etwa zweieinhalb Jahren andauert, könnte von Russland problemlos weitergeführt werden, da die Energiequellen des Landes seine wichtigste Trumpfkarte am Verhandlungstisch sind. Zudem pflegt Russland gute Beziehungen zu China und kann über Länder wie Kasachstan, Georgien und Belarus auf viele westliche Produkte zugreifen.

Russlands Energiequellen und die guten Beziehungen zu China haben die Auswirkungen der Sanktionen begrenzt. Die positive Wachstumsrate Russlands trotz der Sanktionen zeigt, dass die EU eine neue Strategie benötigt.

EU-Erweiterungspolitik und die Ukraine

Ein weiteres wichtiges Thema ist, dass die EU offiziell Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldawien aufgenommen hat. Dies ist ein beispielloser Prozess in der Geschichte der EU. Erstmals verhandelt die EU mit einem Land nur zwei Jahre nach dessen Antrag und erstmals mit einem Land, das sich in einem aktiven Krieg befindet. Türkiye hingegen musste 12 Jahre auf die Annahme seines Beitrittsantrags warten und 18 Jahre auf den Beginn der Verhandlungen.

Neue Strategien für die Ukraine

Unabhängig von den Motiven hinter Orbáns „Friedensmission“ ist klar, dass die EU eine neue Strategie für die Ukraine benötigt. Der Russland-Ukraine-Krieg muss so schnell wie möglich beendet werden, da Millionen Menschen gezwungen waren, ihr Land zu verlassen und Zivilisten im Krieg sterben. Doch mit der bisherigen Russland-Politik der EU scheint ein Ende des Krieges nicht in Sicht.

Die Sanktionen, die die EU verhängt hat, haben aufgrund von Russlands Energie- und Handelsverbindungen nur begrenzte Wirkung gezeigt. Die EU sollte die Gespräche, die Orbán mit wichtigen Akteuren wie Putin, Selenskyj, Trump, den EU-Spitzen und Erdoğan führt, nutzen, um neue Wege zur Beendigung des Konflikts zu finden.

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