Die Entsendung von Religionsbediensteten aus Türkiye nach Deutschland soll künftig eingestellt werden. Dies vermeldete das Bundesinnenministerium (BMI) in einer Mitteilung. Das Innenministerium, die türkische Religionsbehörde Diyanet und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) sollen sich folglich auf die schrittweise Beendigung der Entsendung staatlich bediensteter Religionsbeauftragter aus Türkiye nach Deutschland verständigt haben. Die in Deutschland tätigen islamischen Religionsbeauftragten der türkischen Religionsbehörde Diyanet werden über die nächsten Jahre schrittweise durch in Deutschland ausgebildete Theologen ersetzt.
Innenministerin Faeser: „Einfluss der Türkei auf deutsche Moscheegemeinden verringern“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser freute sich, dass nach langen Verhandlungen erstmalig eine Vereinbarung mit Türkiye abgeschlossen wurde und sagte: „So verringern wir den Einfluss der Türkei auf deutsche Moscheegemeinden.“ Faeser nannte das Abkommen einen „wichtigen Meilenstein für die Integration und die Teilhabe muslimischer Gemeinden in Deutschland“.
„Neue Ära“ und Finanzierungssorgen
Auch die DITIB würdigte das Abkommen in einer Mitteilung als eine „neue Ära“ in ihrer fast 40-jährigen Geschichte. Nichtsdestotrotz wies der Religionsverband darauf hin, dass der neue Fahrplan „eigene finanzielle und personelle Ressourcen“ in Anspruch nehmen werde.
Die Frage nach der Finanzierung des Konzepts und der Bezahlung der Imame ist von zentraler Bedeutung. Es ist eher die Ausnahme als die Regel, dass die in Deutschland ausgebildeten islamischen Theologen außerhalb der großen islamischen Religionsgemeinschaften wie der DITIB, der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG) oder dem Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) einen vergleichsweise gut bezahlten Job in einer Moscheegemeinde bekommen. Die Gemeinden, die z.B. keinem der großen Dachverbände angehören und sich vorrangig aus Mitgliedsbeiträgen finanzieren, haben nur begrenzte Mittel für eine ausreichende Vergütung der religiösen Gemeindevorsteher. Das Geld, das die Imame für ihre Tätigkeiten erhalten, reicht längst nicht für ihren Lebensunterhalt. Deswegen entscheiden sich immer weniger Menschen und in jüngster Zeit immer weniger männliche Imam-Anwärter für das Studium der islamischen Theologie in Deutschland. Die Perspektivlosigkeit der Studenten und Anwärter ist nicht von der Hand zu weisen. Diejenigen, die ihr Studium nicht vorzeitig abbrechen oder in den Lehrerberuf wechseln, versuchen sich mit Hilfsjobs und alimentierten Projekten, beispielsweise in der Gefängnisseelsorge oder in den Beratungs- und Präventionsdiensten, über Wasser zu halten.
Nähe zum Herkunftsland ein Problem?
Ein weiteres Hindernis für die Imamausbildung und -beschäftigung in den Gemeinden vor Ort ist die Tatsache, dass es in Deutschland keine Moscheesteuer ähnlich der Kirchensteuer gibt. Dafür müssten die islamischen Verbände als Körperschaft des öffentlichen Rechts, d.h. als öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften anerkannt werden. Obwohl viele große islamische Verbände in Deutschland die Voraussetzungen für einen Körperschaftsstatus erfüllen, wird ihnen dieses Recht nach Einschätzung von muslimischen Fachleuten oft aus politisch-ideologischen Gründen verwehrt. Die Mehrheit der großen islamischen Verbände, die unter anderem strukturelle, personelle und finanzielle Verbindungen in die Herkunftsländer ihrer Gemeindemitglieder unterhalten, fühlen sich mit diesen Ländern auch emotional verbunden. Genau das sehen die verantwortlichen Behörden als Gefahr für die innere Sicherheit an, auch wenn das in dieser Form nicht offen ausgesprochen wird. Die Gemeinden werden deswegen in der Öffentlichkeit als „verlängerter Arm“ oder als „fünfte Kolonne“ ihrer Herkunftsstaaten angesehen.
Andere Gemeinden dagegen, die jegliche Verbindungen mit ihrer Heimat abgebrochen haben und dieser kritisch gegenüberstehen, bekommen den Körperschaftsstatus quasi auf dem Silbertablett serviert. Bei jüdischen, syrisch-orthodoxen, griechisch-orthodoxen, russisch-orthodoxen, armenischen oder aramäischen Gemeinden und vielen anderen religiösen Organisationen, die noch gute Verbindungen zu ihren Heimatländern unterhalten und ihr religiöses Personal aus dem Ausland beziehen, wird diese Praxis seltsamerweise nicht als „Gefahr“ betrachtet. Der Eindruck, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist nicht von der Hand zu weisen, er erschwert die Identifikation mit dem Land und hindert die Vertrauensbildung und die Integration vieler Muslime.
„Deutscher Islam“ als ein neuer „Staatsislam“ deutscher Prägung?
Die stufenweise Einstellung der Entsendung von Religionsbediensteten aus Türkiye wird von Kritikern auch als ein Projekt zur Reformation des Islam bzw. als „deutscher Islam“ gedeutet. Der Islamwissenschaftler Dr. Ahmet Inam forderte schon im Jahre 2020 in einem Beitrag für die Debatten- und Nachrichtenplattform IslamiQ eine unabhängige Entwicklung ohne „nichtmuslimische Vorgaben, ohne staatliche und mediale Erwartungen und Eingriffe“ für die Entstehung einer deutsch-islamischen Kultur in Deutschland und sagte: „Eine deutsch-islamische Kultur wird es jedoch nur dann geben, wenn die Muslime sich von nichtmuslimischen oder säkularen Zuschreibungen, Erwartungen oder Fremdeinwirkungen auf die Grundessenz (Glaubensgrundlagen, Tugendlehre, Gebote und Verbote) der Religion befreien.“ Alles andere werde ein unglaubwürdiges und unwürdiges Projekt sein. „So wie der Versuch ‚deutscher Islam‘.“ Inam kritisierte, dass die „große Mehrheit der Muslime die Ziele und Inhalte dieser „konzilischen Entstehung“ eines „deutschen Islams“ nicht mitbestimmen dürfe. Das Projekt „deutscher Islam“ sei nichts weiter als eine „Zeit- und Ressourcenverschwendung, die Populisten mehr dienlich sein dürfte als den Muslimen“.
Inam: „‚Deutsch-nationalistische‘ Deformierung der Weltreligion“
Außerdem sprach Dr. Inam in einem Meinungsbeitrag für TRT-Deutsch vor fast zwei Jahren davon, dass mit der offiziellen Bekanntmachung des Ziels ‚deutscher Islam‘ der Versuch unternommen werde, „sich in die Grundlagen einer Religion einzumischen“. Der Wissenschaftler erklärte: „Der säkulare Staat, der sich in Glaubensfragen neutral zu verhalten hat, meinte, – allein schon durch die Etikette ‚deutsch‘ – den Islam reformieren / säkularisieren zu können.“ Der Religionswissenschaftler sah es als unangebracht an, „einer Weltreligion eine nationalistische Etikette und säkulare Grenzen zu setzen“. Denn es sei paradox, „wenn diese Nationalisierung der Religion mit ständigem und tadelndem Verweis auf ausländisch nationalistische Erscheinungen geschieht und die eigene ‚deutsch-nationalistische‘ Deformierung der Weltreligion unproblematisch als weltoffen präsentiert“ werde. Ob die Einstellung der Entsendung von Religionsbediensteten aus Türkiye zur Entstehung eines deutschen Islam führen wird, darf wie bisher infrage gestellt werden.