Ideologische Grundlagen der Migrantenfeindlichkeit in Ostdeutschland
Seit der deutschen Wiedervereinigung ist mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen. Dennoch bestehen große Diskrepanzen zwischen Ost und West. Warum fährt die AfD im Osten mehr Stimmen ein als im Westen? Haben Ideologien Einfluss auf Einwanderung?
26.06.2020, Sachsen, Burgstädt: Andreas Kalbitz, AfD-Politiker aus Brandenurg, spricht auf einer Kundgebung der AfD. (DPA)

Nach der verheerenden Niederlage des faschistischen Hitlerdeutschlands am 8. Mai 1945 wurde das Land unter den Siegermächten USA, Frankreich, Großbritannien und der Sowjetunion aufgeteilt bzw. zunächst von diesen regiert und bestand dann bis 1990 in Form von zwei getrennten Staaten mit unterschiedlichen Weltanschauungen fort. Dieser 45 Jahre währende getrennte politische, kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Lebensstil hat tiefe Spuren in beiden Gesellschaften hinterlassen.

Ideologische Grundlagen der einwanderungsfeindlichen Einstellung in Ostdeutschland

Mag es auch vielschichtige Gründe für eine feindliche Einstellung gegenüber einer Einwanderung in das Land geben, spielt doch auch die grundsätzlich misstrauische Einstellung der sozialistischen Ideologie der DDR mit ihrem Hang, in jedem Menschen einen potentiellen Spion zu vermuten, eine bedeutende Rolle. Denn Praktiken wie die dauerhafte Überwachung und Kontrolle der Bürger im Osten bewirkten bei diesen, im Gegenzug ebenfalls allem und jedem mit Misstrauen zu begegnen. Gemäß der Ideologie des Sozialismus sollten alle und alles gleich sein. In diesem Sinne gehören selbst das Völkerverständnis und das grenzüberschreitende friedliche Zusammenleben der Menschen zu den Bereichen, in denen Skepsis und Misstrauen geboten sind. Entsprechend schnell entwickelte sich ein Lager- und Gruppendenken bei den Menschen. Geistig waren sie vordergründig in zwei Blöcke gespalten, hier als Sozialisten, dort als Kapitalisten. Diese Ausgangssituation setzte das „Freund und Feind“-Denken im Sozialismus in den Köpfen fest. Folgerichtig spiegelte sich dieser Unterschied auch in der Einstellung der Menschen gegenüber der Einwanderung in das Land wider. Diese begann zu einem Faktor zu werden, der sowohl das Vertrauen in den Staat als auch in die zwischenmenschlichen Beziehungen untergrub.

Zu DDR-Zeiten war es durchaus üblich, Fremde und verdächtige Ausländer anzuzeigen. Einer der Gründe für die vermeintliche Angst vor Ausländern war und ist, dass die von der Ideologie geprägten Menschen keine Erfahrung mit einem gesellschaftlichen Wettbewerb hatten. So machte sich unter den Einwohnern im Osten die Angst vor der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt breit. Insbesondere traten tief verwurzelte Ängste vor Lohneinbußen und vor einem drohenden Arbeitsplatzverlust wegen der Zuwanderer zu Tage.

Unterschiede zwischen Ost und West

Zwischen Ost und West gibt es nach wie vor demografische, wirtschaftliche und soziale Unterschiede. So gehören beispielsweise das Durchschnittsalter der Bevölkerung, das geringere Einkommensniveau und der vergleichsweise geringe Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Ostdeutschland zu den Hauptunterschieden. Auch liegen die Arbeitslosenquoten derzeit höher als im Westen. Laut einer empirischen Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung ist die Zahl der Menschen im Osten, die Türken und Flüchtlinge nicht als Nachbarn haben wollen, bemerkenswert hoch. Ebenso bestätigen Umfrageergebnisse, dass Menschen im Osten verstärkt der Meinung sind, dass Zuwanderer den Staat belasten, sich nicht an die deutsche Kultur anpassen und den Fachkräftemangel nicht beheben werden.

Die Soziologin Claudia Diehl argumentiert, die Kommunikation mit Einwanderern sei in den östlichen Bundesländern sehr schlecht und man fokussiere sich deshalb mehr auf die negativen Aspekte von Einwanderern. Denn obwohl in Deutschland 21 Millionen Menschen einen Migrationshintergrund haben, ist ihr Anteil an der Bevölkerung im Osten vergleichsweise gering. Zugleich scheinen ältere Menschen aus dem Osten einwanderungsfeindlicher zu sein als jüngere.

Neuere empirische Studien auf diesem Gebiet bestätigen diese Annahmen. Im Rahmen einer Studie, die im Auftrag des Bundesbildungsministeriums auf Grundlage der Daten einer von der Universität Konstanz in den 80er Jahren entwickelten Studierendenbefragung durchgeführt wurde, wurden 8000 Studenten aus verschiedenen Universitäten bzw. Technischen Hochschulen zu acht Themenbereichen interviewt.

Diese Daten zeigen, dass sich die Einstellungen gegenüber Einwanderern zwischen Studenten aus dem Osten bzw. aus dem Westen stark unterscheiden. So haben beispielsweise Studierende, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind, eine um etwa 109% höhere distanzierte Einstellung zu kulturellen Unterschieden als Studierende, die in Westdeutschland aufgewachsen sind. Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie ist, dass ein Oststudent, der im Westen studiert, seine kritische Perspektive auf die Einwanderung um rund 70 Prozent reduziert.

Einfluss von Ideologien bei Wahlen

Auch wenn es im wiedervereinten Deutschland immer wieder Versuche rechtsextremer Parteien gab, die Stimmung gegen Ausländer und Flüchtlinge anzuheizen, blieb der Erfolg selbiger überschaubar, wobei sich auch hier Unterschiede zwischen West und Ost auftaten. Zumeist scheiterten diverse Parteien und Gruppierungen an den Wahlhürden. Auch die AfD, einst als Anti-Euro- bzw. Anti-EU-Partei gegründet und dann zum Sammelbecken für Gegner der Zuwanderung und des Islam fortentwickelt, scheiterte noch bei den Bundestagswahlen 2013 an der Fünfprozenthürde.

Die Flüchtlingskrise im Sommer 2015 bot ihr eine einmalige Chance, und sie trat nach 2015 in eine Phase des Aufschwungs ein. So erhielt sie bei den Bundestagswahlen 2021 etwa 10 % der Stimmen und behauptete damit ihren festen Platz in der deutschen Politik. Bemerkenswert ist, dass sie in vielen Bundesländern Ostdeutschlands als stärkste Kraft hervorging. Bekanntlich ist auch die PEGIDA-Bewegung in Ostdeutschland entstanden. Darüber hinaus jährt sich in diesem Jahr die Enttarnung des aus dem rechtsextremen Sumpf in Ostdeutschland hervorgegangenen Nationalsozialistischen Hintergrund (NSU) zum zehnten Mal. Ebenso dürfen die Ereignisse im sächsischen Hoyerswerda vom September 1991 nicht vergessen werden. Damals wurden bei ausländerfeindlichen Ausschreitungen mit hunderten Teilnehmern 32 Menschen verletzt. Auch wurden Arbeiterheime und Flüchtlingsunterkünfte aus rassistischen Motiven angegriffen. 1992 wurde der Stadtteil Lichtenhagen der Hafenstadt Rostock Schauplatz der heftigsten Straßenschlachten nach dem Weltkrieg. Ein rechtsextremer Mob griff Ausländer und Flüchtlinge an. In der Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen wurden bzw. werden den Sicherheitskräften Versäumnisse nachgesagt.

Spätfolgen des Sozialismus auf die Einstellung gegenüber Migranten in Ostdeutschland

Im politischen Prozess nach der Wiedervereinigung Deutschlands war das Thema Zuwanderung zwar immer von Bedeutung und es gab marginale rechtsextreme Parteien, die insbesondere im Osten, wenn auch nur mit geringem Erfolg, versuchten, das Thema politisch zu instrumentalisieren. Diese Situation änderte sich mit dem Zustrom von Flüchtlingen in Deutschland im Sommer 2015 aber grundlegend. Bürgerinnen und Bürger, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind, stehen der Zuwanderung skeptischer gegenüber als Bürgerinnen und Bürger, die im Westen aufgewachsen sind. So scheint auch der gesellschaftlich verankerte Einfluss des Sozialismus der AfD mit ihrer Einstellung zur Einwanderung in die Hände zu spielen.

Nicht zu vergessen ist, dass die Erfahrungen im Zusammenleben mit Einwanderern im Vergleich zum Westen geringer sind. Mit politischen Zusicherungen, dass die Migration gut gemanagt wird und verstärkten Bemühungen, bestehende Ängste abzubauen, könnte dieses Verständnis geändert werden. So kann überdies eine erfolgreiche Integrationspolitik Fremdenfeindlichkeit und Populismus den Boden entziehen.

Meinungsbeiträge geben die Ansichten des jeweiligen Autors und nicht die der Redaktion wieder. Für Anfragen wenden Sie sich bitte an: meinung@trtdeutsch.com