Flutkatastrophe 2021: Die Erosion politischer Glaubwürdigkeit
Die Lehren aus vergangenen Unwetterkatastrophen und landesweiten Übungen scheinen nicht gezogen worden zu sein. Zeit für eine Manöverkritik.
Unwetter: Suche nach vermissten Angehörige im Katastrophengebiet (DPA)

Die deutsche Regierung gibt in diesen Tagen wahrlich keine gute Figur ab. Krisenmanagement ist leider das schlechteste Fach des europäischen Musterschülers: Mit ihrem parteiischen Auftreten in der Finanzkrise zugunsten systemrelevanter Banken, ihrer Zurückhaltung gegenüber der mächtigen Automobillobby beim Abgasskandal, dem rücksichtslosen Alleingang in der Flüchtlingskrise, die zur Spaltung der EU führte, und mit dem verwirrenden Eiertanz zwischen Bund und Ländern beim Eindämmen der Pandemie hat sie sich nicht gerade Lorbeeren verdient.

Nach Ministerpräsident Laschets unpassendem Gelächter während der Rede des Bundespräsidenten, wirkte seine Trauermiene während seiner anschließenden Rede nur noch aufgesetzt. In Krisenzeiten hoffen Menschen auf Zusammenhalt, Zuversicht und Beistand. Notzeiten erfordern eine gute Führung, die durch eine Integrationsfigur verkörpert wird. Ja, die Geschichte lehrt uns, dass in den dunkelsten Zeiten einer Nation Tugenden wie Hilfsbereitschaft, Empathie und Opferbereitschaft erstarken können und Persönlichkeiten aus der Mitte der Gesellschaft hervortreten und die Gesellschaft in eine bessere Zukunft führen können. Derlei Identifikationsfiguren waren an diesem Tag nicht zu sehen. Bundeskanzlerin Merkel reagierte zu langsam und erachtete es als wichtiger, erst die Ehrendoktorwürde der renommierten Johns-Hopkins-Universität in Empfang zu nehmen statt ihren Aufenthalt umgehend abzubrechen und den Heimflug anzutreten.

Finanzielle Hilfen: schnell und unbürokratisch. Aber auch ausreichend?

Zumindest in finanzieller Sicht scheinen die Staatsoberen zügig zu handeln: 400 Mio. Euro an Soforthilfen wurden versprochen, die jeweils zur Hälfte von Bund und Ländern getragen werden sollen. Doch angesichts der neun Milliarden schweren Corona-Hilfszahlungen an die Lufthansa erscheint das Süppchen, das den Flutopfern bereitgestellt wird, als etwas zu dünn. Nichtsdestotrotz dürfen wir auf eine Erhöhung der Hilfszahlungen an die Flutopfer hoffen, denn bald wird auf der Habenseite der Staatskasse ein beachtlicher Geldbetrag verbucht werden. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Lufthansa mit einer deutlich höheren Finanzhilfe überhäuft wurde, als sie tatsächlich benötigte: Nur zwei der neun Mrd. Zahlungen habe sie gebraucht, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu kompensieren, daher solle der überschüssige Betrag so schnell wie möglich zurückbezahlt werden. Wenn man sich bei Kalkulationen um sieben Mrd. Euro verschätzt, fehlt das Geld an anderer Stelle, nämlich dort, wo es wirklich benötigt wird. Bei diesen astronomischen Geldbeträgen, die in Pandemiezeiten an systemkritische Sektoren in Form von Rettungsmitteln fließen, muss man sich stets vor Augen führen, dass es sich hierbei immer noch um Steuergelder handelt und dass damit verantwortungsbewusst umgegangen werden sollte.

Die Lehren aus dem Warntag 2020

Wir alle erinnern uns an den bundesweiten Warntag im September 2020. Diese präventive Maßnahme sollte die Bevölkerung vor großräumigen Gefahrensituationen wie Chemieunfälle, Flutkatastrophen, Erdbeben und Terroranschläge warnen. Eine an sich sehr berechtigte Maßnahme, die nicht nur Menschen für den Ernstfall schulen, sondern auch die Behörden zu mehr Engagement und zu weitsichtigem Handeln sensibilisieren sollte. Doch die Ergebnisse dieses Tages mündeten in ein regelrechtes „Fiasko“, wie es der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Theurer, zu formulieren pflegte. Koordinationsprobleme zwischen den Leitstellen und dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BKK), defekte oder gar fehlende Sirenen, Alleingänge der Länder und gegenseitige Systemblockaden sowie eine um 30 Minuten verspätete Warnung verwandelten den Warntag in einen Tag der Pleiten, Pech und Pannen. Der Warntag von 2020 wird als „Tag, an dem niemand gewarnt wurde“ in das kollektive Gedächtnis Einzug finden. Michael Theurer sowie zahlreiche weitere Verantwortliche wiesen auf die Unzulänglichkeiten im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz Deutschlands hin. Diesen mahnenden Worten hätte mehr Aufmerksamkeit geschenkt und die Modernisierung der offensichtlich maroden und unzureichenden Strukturen hätte energisch vorangetrieben werden sollen. Denn auch die Bundesregierung zeigte sich selbstkritisch und bezeichnete den Warntag als Fehlschlag. Letztlich bleibt festzuhalten, dass die öffentlichkeitswirksame Kommunikation des Warntags im Vorfeld besser erfolgte als die Warnung selbst am besagten Aktionstag.

Strategische Fehlentscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen

Abgesehen vom Warntag, der im Grunde eine Simulation ist, gab es in den letzten Jahren auch reale und sehr große Naturkatastrophen in Deutschland, die mit Sicherheit wertvolle Lerneffekte mit sich brachten und zur weiteren Optimierung der Konzepte zur Krisenbewältigung und des Katastrophenschutzes beitragen konnten. Die Szenen der Flutkatastrophe im Harz und Harzvorland 2017, die durch einen tagelang anhaltenden Dauerregen des Tiefdruckgebiets „Alfred“ hervorgerufen wurden, sind noch in Erinnerung. Es drängen sich hier unweigerlich die Fragen auf, welche Lehren aus diesen Katastrophen gezogen wurden und warum wir erst jetzt davon erfahren, dass die stark beworbenen digitalen Warnapps des Bundes, etwa NINA und KATWARN, versagt haben. Im Zuge der aktuellen Hochwasserkatastrophe gerieten die stark gepriesenen Warnapps des Bundes in die Kritik, da die Applikationen aufgrund des Netzausfalls und der unterbrochenen Internetleitungen nicht funktionierten und eine großräumige Benachrichtigung vieler Anwohner erst gar nicht möglich war. Die Bundesregierung setzte damals voll auf die Digitalisierung und beschritt mit NINA und KATWARN einen anderen Weg in der kollektiven Warnkommunikation als andere Länder. Länder wie die Niederlande oder die Türkei entschieden sich für das sogenannte Cell Broadcasting, das an alle Empfänger im Einzugsgebiet eines Mobilfunkmastes eine Kurznachricht verschickt und diese warnt. Nach dem Motto „Innovation ist schön, aber Sicherheit geht vor“ entschied sich die Türkei mit ihrem Ikas-System für die gute alte SMS, die nicht nur verlässlicher als eine App ist, sondern auch wesentlich demokratischer. Nicht jeder besitzt ein Smartphone, um darauf eine App zu installieren, und nicht jeder verfügt über eine Internetverbindung. Gewiss, Apps sind nutzerfreundlicher und liefern mehr Informationen, doch wenn es um die Sicherheit geht, sollten Pragmatismus und der Aufbau auf robusten Strukturen wichtiger sein. Tage nach der Flutkatastrophe und dem zu erwartenden Anstieg der Todesopfer soll nun doch das verschmähte Cell Broadcasting eingeführt werden – eine Entscheidung, die mit Sicherheit vor dem Unglück hätte getroffen werden können.

Sicher, es handelt sich hier um Urgewalten der Natur, die wahrscheinlich alle tausend Jahre auftreten. Angesichts der Massen an Geröll und den Schlammlawinen würde jede präventive bauliche Maßnahme, die der Mensch treffen kann, hinweggefegt werden. Ohne Zweifel, hier kamen die technischen Möglichkeiten einer modernen Gesellschaft an ihre Grenzen. Doch man hätte Lehren aus dem Warntag 2020 und vorheriger Flutkatastrophen ziehen und die Bevölkerung effektiver warnen können, um so die Zahl der Opfer möglichst gering zu halten. Ein schnellerer und breit gestreuter Informationsfluss, eine bessere Ausstattung und eine zügigere Evakuierung wären wünschenswert gewesen. Die Regionen, die regelmäßig von Fluten heimgesucht werden und einer höheren Gefahrenlage ausgesetzt sind, sind in Deutschland bekannt. Die im Resümee getroffene Entscheidung, den Warntag jährlich einmal durchzuführen, ist angesichts der aktuellen Lage viel zu kurz gegriffen. Denn die größte Lehre, die wir aus der Flutkatastrophe ziehen können, ist, dass eine einmalige jährliche Durchführung nicht ausreichen wird. Je nach Risikogebiet sind mehrmalige Warnübungen, abgestimmt auf die lokale Gefahrenlage, erforderlich.

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