Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat die Wachstumsprognose für die deutsche Wirtschaft im Jahr 2025 von 1,1 Prozent auf 0,7 Prozent gesenkt. Damit wird Deutschland voraussichtlich die niedrigste Wachstumsrate unter den entwickelten Volkswirtschaften aufweisen.
Die OECD prognostiziert ein globales Wirtschaftswachstum von 3,3 Prozent, einen Durchschnitt von 3,3 Prozent für die G20-Staaten und 1,9 Prozent für die OECD-Länder. Besonders hervorzuheben sind die Wachstumsprognosen für Indien mit 6,9 Prozent und China mit 4,7 Prozent, während die Eurozone ein Wachstum von 1,3 Prozent verzeichnen soll. Warum wurde die ohnehin schon niedrige Wachstumsprognose für Deutschland erneut gesenkt?
Mangel an politischer Führung in Deutschland?
Mit dem Ende der langen Kanzlerschaft von Angela Merkel wurde in Deutschland eine deutliche Führungsschwäche sichtbar. Diese stellt einen der Hauptfaktoren dar, die die Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes erschweren. Der Zerfall der aktuellen Koalitionsregierung hat die politische Unsicherheit noch weiter vertieft und sowohl das Vertrauen der Bevölkerung als auch der Investoren erschüttert. Diese Entwicklung hat das Image Deutschlands als stabiler Staat im Inland und international beschädigt.
Eines der zentralen Diskussionsthemen in Deutschland ist die sogenannte Schuldenbremse. Diese war einer der Hauptgründe für das Scheitern der Regierung. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Bündnis 90/Die Grünen, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Freien Demokratischen Partei (FDP) vertieften sich insbesondere in Fragen wie der Schuldenbremse und den Projekten zur grünen Transformation. Die FDP plädierte für strikte Begrenzung der Staatsausgaben und Einhaltung der Schuldenbremse, während SPD und Grüne flexiblere Ansätze forderten, um durch öffentliche Investitionen und Kredite das Wirtschaftswachstum und grüne Transformationsprojekte zu fördern. Diese Unstimmigkeiten führten letztendlich zum Bruch der Regierung.
Der Mangel an politischer Führung Deutschlands hat die internationale Rolle des Landes erheblich geschwächt. Deutschland, das einst als Lokomotive der Europäischen Union galt, verliert allmählich seine Position als politisches Zentrum. Dieser Führungsmangel erschwert nicht nur die Bewältigung innerer Probleme, sondern beeinträchtigt auch die strategischen Ziele der EU und bedroht die politische Ordnung in der Region.
Ein weiteres politisches Thema mit negativen Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft ist Deutschlands Haltung im Russland-Ukraine-Krieg. Die von Deutschland gemeinsam mit der Europäischen Union verhängten Sanktionen gegen Russland haben die Energiekosten erheblich in die Höhe getrieben. Steigende Energiepreise und daraus resultierende Inflation belasten sowohl die Verbraucher als auch die Industrie und wirken sich negativ auf die Wirtschaft aus.
Demografischer Wandel und Fachkräftemangel
Eines der langwierigsten Probleme Deutschlands ist die alternde Bevölkerung. Seit den 1960er-Jahren ist das Land kontinuierlich auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Doch der deutsche Arbeitsmarkt kämpft zunehmend mit einem Mangel an qualifiziertem Personal. Der Mangel an jungen Arbeitskräften beeinträchtigt die Industrieproduktion und bremst das Wirtschaftswachstum. Die Regierungen haben bisher keine dauerhafte Lösung für dieses Problem gefunden. Stattdessen setzen sie auf kurzfristige Strategien, indem sie ausländische Arbeitskräfte ins Land holen, was das Problem jedoch nicht löst, sondern lediglich aufschiebt.
Herausforderungen des globalen Wettbewerbs
Die deutsche Wirtschaft kämpft seit Jahren mit strukturellen Problemen. Schwerfälligkeit der Bürokratie, Mangel an qualifizierten Fachkräften und hohe Abhängigkeit von ausländischen Arbeitskräften wirken sich negativ auf die wirtschaftliche Dynamik des Landes aus. Besonders der Fachkräftemangel führt in vielen Bereichen, von der Industrieproduktion bis hin zum Dienstleistungssektor, zu Leistungseinbußen.
Zudem setzt der zunehmende globale Wettbewerb die exportorientierte Wirtschaft Deutschlands unter Druck. Besonders der Automobilsektor spürt diesen Wettbewerbsdruck deutlich. Innovativen Marken wie Tesla und BYD gelingt es, Marktanteile zu gewinnen und den Einfluss der deutschen Automobilgiganten zu verringern. Länder wie China und andere asiatische Staaten bedrohen mit ihrer kostengünstigen und technologieorientierten Produktion Deutschlands Führungsposition in diesem Bereich.
Umfangreiche Stellenstreichungen
Mehrere führende Industrieunternehmen in Deutschland haben kürzlich umfassende Pläne zum Abbau von Arbeitsplätzen bekannt gegeben. Volkswagen, eines der größten Automobilunternehmen Deutschlands und der Welt, beabsichtigt die Schließung von drei Werken in Deutschland und den Abbau von zehntausenden Stellen. Der Stahlkonzern Thyssenkrupp plant bis 2030 eine Reduzierung um rund 11.000 Arbeitsplätze. Die Deutsche Bahn, das nationale Eisenbahnunternehmen, meldete für das erste Halbjahr 2024 einen Verlust von 1,2 Milliarden Euro und will bis 2029 etwa 30.000 Stellen abbauen. Bosch, ein Schlüsselunternehmen in zahlreichen Branchen, von der Automobilindustrie bis hin zu Haushaltsgeräten, plant den Abbau von 5.500 Stellen.
Diese umfangreichen Arbeitsplatzreduktionen könnten in naher Zukunft über 120.000 Beschäftigte betreffen. Diese Entwicklungen untergraben nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, sondern verschärfen auch die wirtschaftliche Unsicherheit und verunsichern ausländische Investoren.
Energiewende und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen
Der Übergang Deutschlands von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien ist seit Jahren eines der meistdiskutierten Themen, insbesondere in Wahlperioden und bei Regierungsbildungen. Die Bemühungen, fossile Energieträger aufzugeben und auf grüne Energie umzusteigen, haben die Energiekosten im Land erhöht und die industrielle Produktion beeinträchtigt. In energieintensiven Sektoren wie der Chemie- und Metallproduktion ging die Produktion zurück, während der Energieverbrauch im Jahr 2023 um 7,8 Prozent sank. Hohe Energiepreise und Produktionskosten schwächen die globale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und vertiefen die bereits bestehenden strukturellen Probleme der Wirtschaft.
Die erneute Wahl von Donald Trump als US-Präsident und die erwartete Zunahme protektionistischer handelspolitischer Maßnahmen der USA stellen eine weitere Herausforderung dar. Gleichzeitig macht die Konkurrenz mit Chinas kostengünstigen Produkten Deutschlands Exportmodell zu schaffen. Besonders der Automobilsektor steht unter Druck: Es wird ein Rückgang der Exporte in die USA um 32 Prozent erwartet, während die Nachfrage aus China voraussichtlich um 10 Prozent sinken wird. Das exportorientierte Wirtschaftssystem Deutschlands zeigt sich zunehmend unzureichend im Umgang mit den globalen Handelskonflikten. Diese Entwicklungen verschärfen die Auswirkungen der wirtschaftlichen Schrumpfung auf den Arbeitsmarkt.
Die Schuldenbremse, die die öffentlichen Ausgaben in Deutschland begrenzt, schränkt zudem die Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen und grünen Transformationen stark ein. Tatsächlich war die Schuldenbremse einer der Hauptgründe für die Auflösung der letzten Regierung. Während die FDP auf einer strikten Einhaltung dieser Politik bestand, setzten sich SPD und Grüne für mehr öffentliche Investitionen und gegebenenfalls höhere Schulden ein, um das Wirtschaftswachstum und grüne Projekte zu fördern. Besonders die Grünen forderten flexiblere Kreditregelungen für grüne Transformation und Infrastrukturprojekte, was jedoch auf den Widerstand der FDP stieß. Diese Differenzen verhinderten eine gemeinsame wirtschaftspolitische Vision der Regierung.
Die OECD und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben darauf hingewiesen, dass die Schuldenbremse überarbeitet werden sollte. Doch angesichts der aktuellen politischen Instabilität sind solche Reformen nur schwer umsetzbar.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Deutschland umfassende Reformen benötigt, um sich an die globalen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen anzupassen. Ohne mutige Schritte in Bereichen wie Energiepolitik, Demografie, Arbeitsmarkt und Schuldenbremse wird es schwer, die angestrebten Wachstumsziele zu erreichen. Solche Maßnahmen erfordern jedoch eine starke politische Führung, die derzeit fehlt. Um wieder als „Lokomotive Europas“ agieren zu können, soll Deutschland eine entschlossene politische und wirtschaftliche Vision entwickeln.