Europäische Menschenrechtskonvention und gemeinsame europäische Politik
Die Vertragsstaaten der Konvention haben sich verpflichtet, die Entscheidungen des EGMR im Sinne der Menschenrechte umzusetzen - Thema bei der gemeinsamen Pressekonferenz der Außenminister Türkiyes und Deutschlands in den vergangenen Tagen.
29. Juli 2022: Çavuşoğlu und Baerbock in Istanbul (AA)

In seinen Ausführungen kritisierte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu die europäischen Länder wegen ihrer aktuellen Praxis in Bezug auf die Umsetzung von Entscheidungen des EGMR. Er machte etwa auf Norwegen aufmerksam, das Kinderrechte missachtet, sowie auf Deutschland angesichts der Misshandlung von Häftlingen bzw. schlechter Haftbedingungen; ähnliche Beispiele könnten für viele andere europäische Länder angeführt werden. Dabei wird deutlich, dass der europäische Ansatz bezüglich der Thematik, der gleich die gesamte Rechtsordnung von Türkiye in Frage stellt, mit Objektivität nicht viel zu tun hat und darauf abzielt, Türkiye auf der internationalen Bühne zu diffamieren. Denn neben den institutionellen Errungenschaften zum effektiven Schutz der Menschenrechte, etwa dem Recht auf Privatbeschwerden vor dem Verfassungsgericht oder der Gründung der Institution für Menschenrechte und Gleichstellung, wurde darüber hinaus im Justizministerium eine Kommission für Menschenrechte eingerichtet, und der ausgerufene Aktionsplan für Menschenrechte hat für eine Sensibilisierung im ganzen Land gesorgt. So gesehen liegt es auf der Hand, dass Türkiye nicht objektiv bewertet wird. Ganz im Gegenteil verhindern die Lobbyarbeit von Vertragsstaaten gegen Türkiye beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und ihre Bestrebungen, die internationale öffentliche Meinung zu manipulieren, die ordnungsgemäße Funktionsweise des Gerichtshofes.

EGMR und die Länder der Union

Angesichts der in Deutschland zu beklagenden rassistischen bzw. islamfeindlichen Übergriffe und der teils langwierigen und oftmals laschen Bemühungen der deutschen Behörden zu deren Aufklärung verfestigt sich der Eindruck, dass man sich hier an die Menschenrechtsverletzungen gewöhnt hat und Deutschland sich mit seiner Rolle als Beobachter begnügt. Ob die Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention überhaupt garantiert ist, erscheint in diesem Sinne angesichts der Dutzenden von Übergriffen, die jedes Jahr in Deutschland gegenüber dem vermeintlichen Anderen stattfinden, zumindest fraglich.

Weitere Beispiele, wenn es um das EGMR-Zeugnis geht, sind Italien, das ebenfalls Mitglied der Union ist, aber als schwaches Glied innerhalb der westlichen Demokratien gilt und von wechselnden Regierungen bzw. systemischen Problemen erdrückt wird, sowie das Schweigen der übrigen Vertragsstaaten. In Frankreich wiederum ist es das bewusste Schweigen von Justiz und Medien zu Hunderten von Vorwürfen zum damals ausgerufenen Ausnahmezustand. Die starken Zweifel bezüglich einer verborgenen Agenda beim damals beschlossenen Artikel 18 bei gleichzeitiger Aussetzung der Grundrechte und -freiheiten konnten nicht ausgeräumt werden, und dementsprechend erlebte Frankreich während des Ausnahmezustands die volle Härte der öffentlichen Hand.

Die Schwerfälligkeit des Justizapparates und das Schweigen der Presse ändern nichts an der Existenz der Wahrheit. Denn das Recht hängt von der Realität ab. In diesem Sinne verdeutlichen die dargelegten Beispiele die in puncto Türkiye selbst bei berechtigter Kritik des Landes gegenüber anderen Vertragsstaaten an den Tag gelegte Doppelmoral in Bezug auf die Thematik.

Griechischer Sonderfall

Griechenland steht der Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte generell gleichgültig gegenüber, es sei denn, es geht um Fälle, die der eigenen politischen Agenda nützen. In diesem Sinne offenbaren die Ausführungen der deutschen Außenministerin in Griechenland, das ja wie Deutschland Mitglied der EU ist, die Doppelmoral mit Blick auf Türkiye.

Es ist unbestreitbar, dass die griechischen Behörden eine Reihe internationaler Vereinbarungen, hier insbesondere den Friedensvertrag von Lausanne, hinsichtlich der türkischen Minderheit im Land einfach ignorieren. Dazu gehören etwa die Leugnung der Existenz der türkischen Einwohner im Land sowie die Maßnahmen zur Verhinderung ihrer Präsenz in der Öffentlichkeit, die Behinderungen des gewählten türkischen Mufti, der mit der Wahrung der Religions- und Gewissensfreiheit betraut ist, sowie die unter dem Vorwand der europäischen Integration praktizierte Verletzung von Eigentumsrechten der türkischen Minderheit in Bezug auf die Kataster in Westthrakien, Xanthi, Kos und Rhodos.

Die Tatsache, dass Griechenland die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bezüglich der türkischen Minderheit innerhalb des Staates nicht umsetzt und Menschenrechtsverletzungen sogar systematisiert, führt bei den hunderttausend türkischen Einwohnern zu ernsthafter Besorgnis. Die europäischen Länder schweigen leider zu den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Bezug auf die türkische Minderheit in Griechenland. Angesichts der Übergriffe Griechenlands gegenüber Migranten ist es auch keine Überraschung, dass diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Gericht auch bei anderen Aspekten festzustellen ist und das Gericht in Zukunft zu zeigen hat, ob es denn ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland in Gang setzen wird. Genau an diesem Punkt steht die vermeintlich einheitliche Politik, die von der deutschen Außenministerin mit der „Unionsgrenzen“-Rhetorik zur Frage des Status der Inseln beschworen wurde; sie trifft zwar den Nerv der griechischen Staatsbürger, respektiert aber gleichzeitig die Rechte der türkischen Minderheit in Griechenland nicht. Ebenso wird es klar, dass es hier wohl eher um die politische Agenda der EU als um die Umsetzung von Gesetzen geht. In diesem Sinne instrumentalisiert Deutschland, als stärkstes Land der Union, das Gericht und die Urteile in seiner Außenpolitik.

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