DW Türkisch bringt fragwürdigen Beitrag über Tscherkessen
Das türkischsprachige Format der Deutschen Welle (DW) hat einen in Teilen kontrafaktischen Beitrag über die Tscherkessen in der Türkei veröffentlicht. Warum strahlt die DW in Zeiten guter türkisch-deutscher Beziehungen Beiträge wie diesen aus?
Das Logo des deutschen Auslandssenders Deutsche Welle (Reuters)

Das öffentlich-rechtliche deutsche Medienorgan Deutsche Welle (DW) hat in ihrer türkischen Sparte am 28. November 2021 einen Videobeitrag mit dem Titel „Die Geschichte der Tscherkessen vom Kaukasus bis zur Türkei; Die meisten Tscherkessen leben weltweit in der Türkei“ veröffentlicht. Dieser von der türkischen Öffentlichkeit kritisch bewertete Beitrag sorgt nach wie vor für Diskussionsstoff in der Türkei. Bevor wir uns der Diskursanalyse und den Details des Beitrags zuwenden, ist es hilfreich, einige Informationen zur DW Türkisch zu teilen.

Die Deutsche Welle ist als öffentlich-rechtliches Medienorgan Deutschlands in 30 Ländern, einschließlich der Türkei, mit Veröffentlichungen in der jeweiligen Landessprache tätig. Türkische Sendungen in der Türkei starteten 1962 als Radioformat und wurden bis 2012 ausgestrahlt. Seit 2012 veröffentlicht die DW als Onlineformat in türkischer Sprache und verfolgt eine dynamische Sendepolitik, die sich auch innenpolitischen Themen der Türkei widmet. Der Videobeitrag, auf den sich dieser Artikel bezieht, wurde auf dem 2019 eingerichteten Youtube-Kanal der DW ausgestrahlt. Das Interesse an den türkischen Publikationen der DW verdeutlicht schon allein die Tatsache, dass 800.000 Follower den türkischen Account der DW bei Twitter verfolgen.

Der Sender, dessen Mitarbeiterstab sich zu einem bedeutenden Teil aus in der Türkei ansässigen Journalisten zusammensetzt, veröffentlichte in den letzten Jahren wiederholt insbesondere gegen den gewählten Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und die allgemeinen internationalen Interessen der Türkei gerichtete Inhalte. Naturgemäß werden diese Beiträge von türkischen Konsumenten negativ wahrgenommen, und es stellt sich die Frage, warum die DW hartnäckig diese Art von Inhalten produziert. In diesem Sinne gibt die DW der türkischen Öffentlichkeit das Gefühl, von den Anstrengungen der Türkei bei der Erdgasförderung über ihre Kapazitäten im Kampf gegen den Terrorismus, ihren Fortschritten bei der Entwicklung einheimischer Autos bis hin zu den Bemühungen um Aufrechterhaltung der politischen Stabilität generell eine gegnerische Position einzunehmen.

Die Tatsache, dass sich dieser Ansatz der DW in den letzten Jahren zunehmend durchgesetzt hat, zeigt hinsichtlich der Publikationen mit Blick auf die politische Herangehensweise und allgemeiner journalistischer Grundsätze, dass die Tür zu wichtigen Debatten aufgestoßen ist. Angesichts der von der türkischen Öffentlichkeit für die Arbeit der öffentlich-rechtlichen DW zugrunde gelegten Bewertungskriterien fragt man nach den Beweggründen eines Senders, der sich in einer Zeit guter türkisch-deutscher Beziehungen auf gegenteilige und kontroverse Beiträge konzentriert. So werden nicht erst seit dem Beitrag über die Tscherkessen, sondern auch wegen zahlreicher anderer Beiträge die ethischen Grundsätze der DW hinterfragt.

Spalterischer Ansatz

Auch der Inhalt des am 28. November in der DW ausgestrahlten Videobeitrags mit dem Titel „Die Geschichte der Tscherkessen vom Kaukasus bis in die Türkei“ wurde mit diesem Ansatz analysiert und von nahezu allen Bevölkerungsgruppen in der Türkei kritisch bewertet.

Der Inhalt des 12-minütigen dokumentarischen Videobeitrags wird dabei wegen der Überbetonung spalterischer Inhalte außerhalb der Grenzen regulärer journalistischer Arbeit gestellt. Im Fokus des Beitrags stehen vor allem Schlagworte wie Assimilation, Diaspora und Muttersprache. Der Beitrag wurde auf dem Twitter-Account der DW mit dem Titel „Die Türkei hat weltweit die größte tscherkessische Bevölkerung, und leider findet die größte Assimilation in der Türkei statt“ versehen, und entsprechend wurde das 12-minütige Video aufgemacht. Genauer gesagt scheint ein Weg verfolgt worden zu sein, der sicherstellt, dass sich genau dieser erste Eindruck in den Köpfen der Social-Media-User festsetzt. Man kann sagen, dass zahlreiche Kritiken an dieser Herangehensweise der DW sowohl in den traditionellen als auch in den digitalen Medien zu finden sind.

Während sich zivilgesellschaftliche Organisationen der in der Türkei lebenden Tscherkessen gegen den Beitrag der DW positionierten, veröffentlichte das Tscherkessische Forum als eine dieser Organisationen auf seinem Twitter-Account unter dem Titel „An die gesamte Öffentlichkeit!“ folgenden Text: „Als Tscherkessisches Forum und in der Türkei lebende Tscherkessen lehnen wir die von der DW gegen die Türkei aufgestellten Behauptungen in aller Deutlichkeit ab. Wir stellen uns allen Erscheinungen entgegen, die sich gegen die nationale Einheit der Republik Türkei richten. Wir sind Tscherkessen, unter uns gibt es keine Verräter!“ Diese Aussagen verdeutlichen, dass es sich bei dem Beitrag der DW nicht einfach um eine Nachricht, sondern um ein Produkt mit einer anderen Intention handelt.

Betrachtet man die entsprechenden Kommentare unter dem Videobeitrag der DW auf Youtube, so ist festzustellen, dass Hunderte von Kommentaren die obigen Aussagen des Tscherkessischen Forums unterstützen. Darüber hinaus wird allgemein hinterfragt, was den deutschen Sender dazu bewogen hat, diesen Beitrag auszustrahlen, obwohl in der Türkei diese Thematik gar nicht auf der Tagesordnung steht. Von den zahlreichen Einschätzungen zu diesem Thema stammt eine auch von Prof. Dr. İlber Ortaylı.

Als einer der renommiertesten Historiker der Türkei kritisiert Prof. Dr. İlber Ortaylı die DW in seiner Einschätzung in der türkischen Tageszeitung Hürriyet: „Deutschland zeigt in letzter Zeit zu viel Interesse an Minderheiten oder Gruppen, die potentiell als Minderheitengruppen in der Türkei gesehen werden.“ Nach Ortaylı entspringt selbiges dem „Bemühen Deutschlands, sein dem Umgang mit religiösen und ethnischen Minderheiten vor und während des Zweiten Weltkriegs geschuldetes Schuldgefühl zu verbreiten und zu teilen. Das ist ein ganz offener Versuch.“ In seiner Kolumne von 5. Dezember resümiert Ortaylı, dass Deutschland mit dieser Verhaltensweise teils lächerliche Inhalte veröffentlicht, die jedoch wissenschaftlichen Kriterien nicht standhalten.

Journalistisch höchst problematisch

Betrachtet man den Beitrag hingegen mit Blick auf die grundlegendsten Regeln des Journalismus, stellt man fest, dass zahlreiche Grundprinzipien missachtet wurden. Dabei besteht der grundlegendste Mangel darin, dass inhaltlich nur ein einziger Standpunkt den Beitrag dominiert. Die zu Wort kommenden Protagonisten, deren Ansichten in den Beitrag einfließen, vertreten alle denselben Standpunkt, und entsprechend kommen keine widersprechenden Stimmen zu Wort. Die einfachsten Grundregeln des Journalismus besagen aber, dass auch divergierende Ansichten bei Nachrichten abzubilden sind, um dem Leser die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Bild zu machen. Mit Blick auf diese Tatsache verfestigt sich bei der Analyse von DW-Beiträgen der Eindruck, dass diese darauf abzielen, nur eine ganz bestimmte Haltung zu unterstützen.

Nicht nur, dass man inhaltlich einen eindimensionalen Ansatz verfolgt, räumt man darüber hinaus auch noch den kritisierten bzw. beschuldigten Protagonisten nicht einmal das Recht ein, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Während also ausgewählte Namen im DW-Beitrag behaupten, dass „Tscherkessen in der Türkei assimiliert wurden“, gibt es keinen Raum für die Ansichten der politischen und gesellschaftlichen Akteure, die Adressaten dieses Vorwurfs sind. Man verzichtet also ausgerechnet bei diesem kritischen Thema auf ein sonst praktiziertes, bewährtes journalistisches Grundprinzip, die Öffentlichkeit korrekt und unvoreingenommen zu informieren, indem man alle Parteien zu Wort kommen lässt, und offenbart so eine gravierende journalistische Schwäche.

Russland steht hinter der Vertreibung der Tscherkessen aus dem Kaukasus und dem an ihnen begangenen Völkermord. Aufgrund der Politik Russlands seit 1864 mussten nicht nur die Tscherkessen, sondern auch viele im Kaukasus lebende ethnische Gruppen ihre Heimat verlassen. Eine Auswertung historischer Dokumente hätte genügt, um korrekte Informationen zu diesem Thema zu recherchieren. Die DW hingegen thematisiert diese Rolle Russlands in ihrem Beitrag nicht gebührend.

Die Intention der DW

Letztendlich zielen die Nachrichten der DW Türkisch auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe in der Türkei ab und sollen diese erreichen. Diesbezüglich ist die Zahl der Follower des türkischen Twitter-Accounts ein wichtiger Indikator. Wie eben auch bei diesem Beitrag, ist die Bevorzugung des hier sichtbar gewordenen separatistischen Ansatzes und die Verfolgung redaktioneller Leitlinien, die sich gegen die gewählten Regierung der Türkei im Allgemeinen richten, im Kontext des Prinzips eines unparteiischen Journalismus nicht nachzuvollziehen.

Die Türkei ist einer der Staaten der Welt, in denen demokratische Prinzipien gelten sowie die Wahlfreiheit und die Freiheit der Medien garantiert sind. Es gibt Dutzende von Medienorganen, die jeweils Ideologien oder Interessen unterschiedlichster politischer Parteien im innenpolitischen Widerstreit vertreten. Insofern erscheint es problematisch, wenn sich ein öffentlich-rechtliches Medienorgan des deutschen Staates direkt in die politischen Debatten innerhalb der Türkei einmischt – und dies oftmals in aggressiver Art und Weise. Das derzeitig offenbarte Bild deutet zunehmend auf ein eingebettetes Verhältnis der DW bei der politischen Opposition der Türkei hin und wird gemeinhin auch so verstanden. Es erscheint nicht rational, dass eine international beachtete Marke des deutschen Staates sich ein solches Image zulegt. Insofern wurde der Beitrag über die Tscherkessen in dem von İlber Ortaylı aufgezeigten Zusammenhang debattiert und als weiteres “spalterisches Werk“ der DW verortet.

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