Die am 27. Oktober veröffentlichte Doku „Judenhass in islamischen Verbänden“ in der ZDF-Sendung Frontal 21 berichtet über antisemitische Angriffe und Vorurteile von Muslimen in Deutschland. Diese Doku ist gefährlich, da sie nicht vordergründig die Probleme von Juden in Deutschland thematisiert, sondern mit ihrem provokativen Ansatz die Gesellschaft spaltet und zwei Minderheiten gegeneinander aufbringt.
Um was geht es?
Am Anfang der Doku wird über die „Mahnwache für Israel und gegen Antisemitismus“ berichtet, die einmal im Monat in der Hamburger Innenstadt stattfindet. Der 60-jährige Michael R., jüdischen Glaubens, wurde Ende September mutmaßlich von drei Tätern im jugendlichen Alter, vermutlich muslimischen Glaubens, erst verbal, später auch körperlich attackiert. Das Opfer musste operiert werden.
Nachdem das Ereignis erklärt wurde, wird ein Ausschnitt aus einem Interview mit dem Initiator der Mahnwache gezeigt, Andreas Müller. In diesem Ausschnitt sagt der Initiator: „Jeder redet über Antisemitismus von rechts. Wir hier sind in sechs Jahren nie von Nazis oder Rechten angegriffen worden. Wir werden immer von Muslimen bedrängt.“ Das am Anfang gezeigte Ereignis und der spätere Interviewausschnitt suggerieren dem Zuschauer, die hauptverantwortlichen Täter hätten muslimischen Hintergrund. Außerdem wird dadurch das Bild erzeugt, als sei das Problem mit den Angriffen von Rechtsextremisten gelöst und als bestünde die neue extremistische Strömung aus Menschen muslimischen Glaubens.
Weiter wird berichtet, die antisemitischen Angriffe in Deutschland hätten einen Höchststand erreicht. Die meisten würden dem rechten Spektrum zugeordnet, aber es gebe auch „sehr viele Anfeindungen von Muslimen“. Auch dieser Satz ist gefährlich, da hier zum einen keine genauen Statistiken angegeben werden und zum anderen die Anzahl der Angriffe von Muslimen in Relation zu den Angriffen von Rechtsextremisten gestellt wird. Mit diesem Ansatz wird wiederholt ein Bild erzeugt, demzufolge Muslime genauso gefährlich seien wie Rechtsextremisten.
Die Rede von Erdoğan wurde aus dem Kontext gerissen
Danach werden in der Doku zwei Demonstrationen gezeigt, in denen gegen Israel demonstriert und gegen das jüdische Volk gehetzt wird. Während in der ersten Demo nur arabisch-palästinensische Demonstranten zu sehen sind, nehmen an der zweiten Demo auch Menschen mit einer türkischen Fahne teil. Die Doku zeigt dann einen Ausschnitt aus einer Rede des türkischen Präsidenten Erdoğan, in der er laut deutscher Übersetzung Folgendes sagt: „Das Töten liegt in deren Natur. Sie werden erst durch das Blutsaugen satt.“ Danach wird der türkische Islamverband Ditib gezeigt, der in der Doku als „Erdoğans Sprachrohr in Deutschland“ bezeichnet wird.
An dieser Stelle sollten mehrere Probleme angesprochen werden. Die Rede von Erdoğan wurde aus dem Kontext gerissen, und es wird hier nicht deutlich, für was genau er diese Bezeichnung nutzt. Es sollte angemerkt werden, dass in der türkischen Sprache oft sprachliche Stilmittel genutzt werden, die bei der Übersetzung ins Deutsche härter klingen können. Durch die Darstellung mit den Demonstranten, die eine türkische Fahne schwenken, wird außerdem suggeriert, der türkische Staatspräsident würde diese Hetze provozieren. Obwohl die Ditib mit keinen antisemitischen Handlungen oder Aussagen in Verbindung gebracht werden kann, wird ihr allein durch die aus dem Kontext gerissenen Aussagen Erdogans unterstellt, antisemitisch zu sein und Judenhass zu verbreiten. Mit dieser Darstellung soll gezeigt werden, der Antisemitismus vor allem unter den türkischen Muslimen habe sich institutionalisiert und der türkische Staat stecke dahinter.
Frontal 21 bringt mit dieser Doku die Ausgrenzung der Muslime auf eine neue, gefährliche Stufe
Die Doku zeigt, dass sich die jüdische Bevölkerung in Deutschland mit antisemitischen Angriffen auseinandersetzen muss. Dieses Problem ist real und sollte auf jeden Fall bekämpft werden. Jedoch zielt die Doku gar nicht darauf ab, die Probleme der deutschen Juden in den Vordergrund zu stellen, sondern darauf, verstärkt das Feindbild „Muslim und Islam“ aufzubauen und zu manifestieren. In der Doku werden Muslime der gleichen Kategorie wie Rechtsextremisten zugeordnet, wodurch Muslime, die ohnehin schon mit Diskriminierung zu kämpfen haben, von der Mehrheitsgesellschaft weiter ausgegrenzt werden. Mit der Thematisierung von Präsident Erdoğan und Ditib bringt die Doku zudem die Problematik auf eine gefährliche Ebene. Die Ditib ist mit mehr als 850 Moscheegemeinden der größte Islamverband in Deutschland. Es leben laut der letzten statistischen Erhebung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zwischen 5,3 und 5,6 Millionen Muslime in Deutschland (Stand: 28.4.2021). Frontal 21 stellt diese große Minderheit unter Generalverdacht und unterstellt Ditib wegen einer Erdogan-Rede, die aus dem Kontext gerissen wurde, ohne irgendwelche Beweise zu liefern, sie fördere den Antisemitismus unter Muslimen.
Innenminister Horst Seehofer hatte 2018 schon einmal die Aussage getätigt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Diese Aussage ist nicht neu. Der ehemalige SPD-Politiker Thilo Sarrazin hatte 2010 in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ mit Argumenten, die auf rassistischen Aussagen beruhen, geäußert, Muslime gehörten nicht zur christlich-jüdischen Bevölkerung. Dass das Buch ein Bestseller wurde, zeigte schon damals, wie prekär die Lage für Muslime in Deutschland ist. Hier fand eine klare Abspaltung zwischen Christen und Juden auf der einen und Muslimen auf der anderen Seite statt.
Frontal 21 bringt mit dieser Doku die Ausgrenzung der Muslime auf eine ganz neue, gefährliche Stufe. Die Gleichstellung mit Angriffen von Nazis führt nur zu mehr Distanzierung seitens der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den Muslimen. Die nationalsozialistische Ideologie ist ein sensibles Thema für die deutsche Bevölkerung, weswegen Muslime weiter marginalisiert werden. Es sollte nicht überraschen, falls anti-muslimische und anti-islamische Aussagen und Argumente in naher Zukunft salonfähig gemacht werden.
Durch den Bezug auf ausländische Politiker (wie bspw. Erdoğan) versucht Frontal 21 das Problem des Antisemitismus nach außen zu verlagern. Dadurch, dass der Dokumentationsbeitrag eine ausländische Einflussnahme suggeriert, lenkt er vom eigentlichen Problem ab und trägt nicht zur Lösungsfindung bei. Im Gegenteil: Hier wird versucht, zwei Minderheiten gegeneinander aufzubringen. Diese Sichtweise ist sehr gefährlich, da sie dem seit Jahren andauernden Rechtsruck in Deutschland dient und neuen Stoff für rechte Verschwörungstheorien bietet. Zudem werden muslimische Gemeinschaften in Deutschland zur Zielscheibe erklärt, und es wird versucht, dieser Minderheit ihre Legitimität zu entziehen.