Nach Ansicht des Strafrechtlers Tobias Singelnstein landen viele Fälle rechtswidriger Polizeigewalt in Deutschland selten vor Gericht. Der renommierte Rechtswissenschaftler und Kriminologe von der Goethe-Universität Frankfurt hält die geringe Anklagequote für „besorgniserregend“. Grund sei, dass es oft an objektiven Beweisen fehle, sagte Singelnstein am Montag im Interview mit dem Saarländischen Rundfunk (SR).
Bundesweit gebe es jährlich rund 2500 Verdachtsfälle. Die strafrechtliche Aufarbeitung solcher Verdachtsfälle funktioniere aber nicht besonders gut, erklärte der Experte. Soziale Randgruppen und Minderheiten seien besonders häufig von Gewalt durch die Polizei betroffen. Da die Erfolgsaussichten jedoch sehr gering seien, würden viele auf eine Anzeige verzichten. Dieser Umstand untergrabe das Vertrauen in den Rechtsstaat und schüre Gewalt gegen Polizisten, bemängelte Singelnstein.
Der Experte plädiert daher für eine von der Staatsanwaltschaft unabhängige Ermittlungsstelle für polizeiliche Übergriffe. Auch der Einsatz von Bodycams bei Gewalteinsätzen könne helfen. Oftmals gebe es keine Videoaufzeichnungen, sodass Aussage gegen Aussage stehe, monierte Singelnstein. Zudem würden sich Kollegen aufgrund der „Cop Culture“ nicht gegenseitig belasten. Der Fachbegriff steht für das Verhalten und Zusammenleben der Polizisten untereinander und den damit einhergehenden Zusammenhalt innerhalb einer Dienstgruppe.