Ausländerwahlrecht - eine politische und verfassungsrechtliche Frage
Auch im Superwahljahr 2021 werben einzelne Stimmen für ein Ausländerwahlrecht. Bezüglich der Frage, ob dies nötig oder überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist, gibt es jedoch höchst unterschiedliche Meinungen.
4.09.2017, Berlin: Ein Wähler wirft seinen Stimmzettel zur Bundestagswahl in die Wahlurne. (DPA)

Fast zehn Millionen Menschen, die in Deutschland leben, arbeiten und Steuern zahlen, können keine Stimme zur Bundestagswahl abgeben, weil sie keine Staatsbürgerschaft besitzen. Deshalb fordern Aktivisten nun in einer Petition kurz vor der Bundestagswahl das Wahlrecht für Migranten, die seit mehr als fünf Jahren in Deutschland leben.

Kein Wahlrecht für 14 Prozent der in Deutschland lebenden Erwachsenen „Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit wird die Teilnahme an den Wahlen verwehrt. Das bedeutet, dass sie keine Möglichkeit haben, sich politisch zu engagieren“, sagt Sanaz Azimipour, Mitbegründerin von MigLoom, gegenüber der Nachrichtenagentur Anadolu. Der Verein setzt sich für die politische Beteiligung von Migranten bereits in der ersten Generation ein. MigLoom zufolge haben bis zu 14 Prozent der Erwachsenen, für die Deutschland zu einer zweiten Heimat geworden ist, kein Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen, die sie aber genauso betreffen wie deutsche Staatsbürger. Die Tatsache, dass man am größten politischen Ereignis und Mitbestimmungsprozess des Landes - der Bundestagswahl - nicht teilnehmen kann, obwohl man seinen Hauptwohnsitz in Deutschland hat und sich hier seit Jahren aufhält, sei einer der wichtigsten Aspekte der strukturellen Diskriminierung, erklärt Azimipour. Und das werde so lange bestehen bleiben, wie die Betroffenen nicht in der Politik vertreten sind. Aktivisten starten Petition zur Änderung des Wahlrechts Hinter der Kampagne steht eine heterogene Gruppe von Menschen, darunter Studenten, Arbeiter, Lehrer, Journalisten, Wissenschaftler und Künstler. Die Kampagne hat auf der Website Change.org eine Petition zu diesem Thema eingereicht, die schnell von rund 5000 Personen unterzeichnet wurde. Die Petition „Nicht ohne uns 14 Prozent“ ist nicht die erste Initiative, die sich mit dem Wahlrecht für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit beschäftigt. „Bei anderen Kampagnen kommen meist Menschen zu Wort, die das Privileg haben, wählen zu dürfen und nicht betroffen sind. Aber wir wollen hier selbst reden. Als demokratisches Land muss Deutschland seine undemokratischen Gesetze ändern“, klagt Azimipour. Azadeh Ataei, eine weitere Aktivistin, betont, dass das Wahlrecht ein Recht und kein Privileg sein muss. „Das Wahlrecht ist die Grundvoraussetzung für Demokratie. Es kann nicht sein, dass zehn Millionen Menschen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, von dieser Demokratie ausgeschlossen sind“, unterstreicht Ataei. „Wir wollen nicht nur wieder bei der Bundestagswahl zusehen“, so die Mitinitiatorin der Petition weiter. Die Kampagne soll eine Brücke zwischen den Betroffenen und denjenigen sein, die bereits eine Wahl haben. Leichtere Einbürgerung vs. Wahlrecht für alle Experten sind sich unterdessen bislang uneins über mögliche Verfassungsänderungen zum Wahlrecht für Migranten. Ein Lösungsvorschlag bestand in einer Vereinfachung des Einbürgerungsrechts, damit Migranten leichter die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten können. Doch Kritiker sehen in dem Umstand, dass bisher nur eingebürgerte Migranten wählen dürfen, das Wahlrecht in ein Privileg umgewandelt. In vielen Fällen wäre außerdem der Verzicht auf die bisherige Staatszugehörigkeit eine Voraussetzung für eine Einbürgerung von deutscher Seite her. Zudem wollen viele Migranten erst gar nicht eingebürgert werden, weil sie weiterhin problemlos in ihr Heimatland reisen wollen oder mit rechtlichen Problemen wegen der Eigentumsverhältnisse in ihrem Ursprungsland konfrontiert sein könnten. Dies wäre in manchen Ländern die Konsequenz aus dem Verzicht auf die dortige Staatsbürgerschaft. Verfassungsrechtliche Fragen rund um das Wahlrecht für Migranten Abgesehen von den politischen Aspekten der Kampagne stellt sich jedoch auch die Frage, ob eine Einführung des Wahlrechts für legal in Deutschland lebende Ausländer im Rahmen des Grundgesetzes überhaupt möglich wäre. Der Berliner Rechtsanwalt Matthias Zieger meint, dass dies ohne eine Verfassungsänderung nicht der Fall sei. Zudem sei es fraglich, ob eine solche Änderung zulässig sei. Zieger verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1990, in dem die Einführung des Ausländerwahlrechts auf kommunaler Ebene in den norddeutschen Bundesländern Schleswig-Holstein und Hamburg „für verfassungswidrig und nichtig erklärt wurde.“ Professor Hans Meyer, Verfassungsrechtler an der Humboldt-Universität zu Berlin, vertritt eine andere Position. In einem Gespräch mit ARD sagte Meyer: „In dem entscheidenden Artikel 20 (des Grundgesetzes) heißt es nur: ‚Das Volk wählt‘ und nicht etwa: ‚Das deutsche Volk wählt‘. In dem Moment, in dem man das als das deutsche Volk interpretiert, werden die möglichen Wähler auf die Staatsangehörigen reduziert. Über die Frage, ob hier lebende Ausländer wählen dürfen oder nicht, steht nichts in der Verfassung." Das Grundgesetz sage nur, dass der Gesetzgeber bestimmt, wer wahlberechtigt ist, fügte er hinzu. Auf der Grundlage dieser Einschätzung kam Meyer zu dem Schluss, dass es vernünftig sei zu sagen, dass Menschen, die in Deutschland voll integriert sind, die hier leben, arbeiten und ihre Steuern zahlen und dem deutschen Recht unterliegen, wie deutsche Staatsangehörige zur Wahl berechtigt werden könnten. Mehrere EU-Länder gewähren Ausländern das Wahlrecht Im Gegensatz zu Deutschland gewähren viele EU-Mitglieder Migranten bereits jetzt das Wahlrecht. Dazu gehören etwa Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Irland, die Niederlande und Island. Die Handhabung unterscheidet sich dabei von Land zu Land. In den Niederlanden können etwa alle Ausländer, die seit fünf Jahren im Land leben, an den Kommunalwahlen teilnehmen und sogar selbst für ein Amt kandidieren. In Irland müssen sich Ausländer sogar nur sechs Monate im Land aufgehalten haben, um das Wahlrecht auf lokaler Ebene ausüben zu können. In Dänemark beträgt das Minimum demgegenüber drei Jahre. In Frankreich und Österreich haben Nicht-EU-Bürger jedoch ebenso wie in Deutschland nicht das Recht, an Kommunalwahlen teilzunehmen. Auf Landesebene sind sogar EU-Bürger, die in einem anderen Mitgliedstaat leben, benachteiligt: Sie dürfen nicht mehr in ihrem Herkunftsbundesland, aber ohne Einbürgerung auch noch nicht in ihrem neuen Heimatbundesland den Landtag wählen.

TRT Deutsch