Arbeitsforscher: Defizite beim Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland
In Deutschland wird das Pflegepersonal zunehmend knapp. Die Bundesregierung wirbt deshalb um zusätzliche Fachkräfte aus dem Ausland. Nach Ansicht des Arbeitsforschers Christian Lebrenz muss jedoch die Vermittlung besser organisiert werden.
Defizite beim Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland / Photo: DPA (DPA)

Experten rechnen damit, dass bis 2025 rund 150.000 zusätzliche Pflegekräfte in Deutschland benötigt werden. Daher wirbt die Bundesregierung weiter um die Fachkräfte auch aus außereuropäischen Ländern. Anfang Juni reisten dafür Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach Brasilien.

Arbeitsforscher fordert Verbesserungen für ausländische Pflegekräfte

Die Anwerbung und Integration von Pflegekräften aus dem Ausland läuft nach Worten des Koblenzer Arbeitsforschers Christian Lebrenz zu schleppend und intransparent. Durch die bürokratischen Prozesse der Anerkennung seien die Fachkräfte alles andere als schnell verfügbar, sagte der Wissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zwar sei der politische Wille da und das Verfahren sei beispielsweise durch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz vereinfacht worden: „Der kritische Faktor ist eher die Umsetzung in der Verwaltung aufgrund der dünnen Personaldecke.“

Die Vermittlung von ausländischen Pflegekräften müsse zudem besser organisiert und strukturiert werden, forderte der Wissenschaftler. „Manche Agenturen versprechen sowohl den Fachkräften als auch den Einrichtungen sehr viel und halten davon wenig.“ Die bisherigen staatlichen freiwilligen Gütesiegel reichten dafür nicht aus. Zum Teil zahlten die Einrichtungen bis zu 10.000 Euro für eine Vermittlung.

Pflegekräfte trügen die Kosten für die Sprachkurse oft selbst, nicht selten seien sie darum verschuldet. Verglichen mit den Bildungskosten für Kinder und Jugendliche in Deutschland sollte die Gesellschaft überlegen, ob sie je Fachkraft etwa 5.000 bis 10.000 Euro in die Hand nehmen könne: „Damit die Fachkräfte wirklich gerne aus dem Ausland hierherkommen und auch realistische Chancen haben, sich zu entwickeln.“ Es brauche mehr Transparenz und staatliche Unterstützungen.

Lebrenz leitet ein Pilotprojekt, bei dem junge Kenianer in zwei Semestern in ihrem Herkunftsland auf die Ausbildung zur Pflegefachkraft in Deutschland vorbereitet werden. Dazu gehören Sprachkurse und auch die interkulturelle und fachliche Vorbereitung. Derzeit absolvieren 15 Menschen aus Kenia den Kurs, die dann in zwei katholischen Krankenhäusern in Baden-Württemberg ihre Ausbildung starten sollen. Ein Netzwerk von rund 2.500 afrikanischen Pflegenden in Deutschland sorge zudem dafür, dass jeder eine Art Pate erhalte, um ihnen möglichst in ihrer Muttersprache zu helfen, sagte der Experte für Personalmanagement.

Defizite beim Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland (DPA)

Auch die Stiftung Patientenschutz übt Kritik: 2022 hätten nur 656 Pflegekräfte außerhalb der EU gewonnen werden können, davon 34 professionell Pflegende aus Brasilien, sagte Vorstandsmitglied Eugen Brysch. Laut der Bundesagentur für Arbeit stieg allerdings die Zahl der Pflegekräfte aus Nicht-EU-Ländern in den vergangenen fünf Jahren stetig, ihr Anteil an den ausländischen Pflegekräften habe sich von 48 Prozent auf 62 Prozent erhöht, während die Zuwanderung aus EU-Ländern gesunken sei.

Pflegekräfte aus Drittstaaten werden unter anderem über das Programm der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, „Triple Win“, angeworben. Durch das staatliche Vermittlungsverfahren sollen „unerwünschte Nebeneffekte“ wie Lohndumping oder Verschuldung der Pflegekräfte vermieden werden, heißt es in der Programmbeschreibung von „Triple Win“. Die Fachkräfte sollten beim gesamten Migrationsprozess begleitet werden.

Das Bundesarbeitsministerium in Berlin listet eine Reihe von Projekten auf, mit denen die Bundesregierung „modellhafte Ansätze zur beruflichen, sprachlichen und soziokulturellen Integration“ erprobe, sagt eine Sprecherin. Dazu zähle ein Online-Praxishandbuch, das im vergangenen Jahr rund 1.400 Zugriffe zählte, oder auch eine Migrationsberatung an rund 1.400 Standorten. Bei einem kostenfreien E-Learning-Tool hätten sich seit dem Start im Mai 220 Nutzer angemeldet. Angeworbene Mitarbeitende sollen so unterstützt werden, sich in ihrem neuen Arbeitsalltag und Lebensumfeld zurechtzufinden, um sie dauerhaft für den Arbeitsmarkt zu gewinnen.

Für die privatwirtschaftliche Anwerbung von Pflegefachpersonal aus Drittstaaten durch Kliniken oder Agenturen hat das Bundesgesundheitsministerium das Gütesiegel „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ geschaffen. Demnach sollen die Fachkräfte mit inländischen Arbeitnehmern gleichgestellt und beim Spracherwerb und der Berufsanerkennung unterstützt werden. Auch muss die Anwerbung kostenfrei sein.

epd