von Bilgehan Öztürk
Moskaus Militäroffensive in der Ukraine hat geopolitische Ängste ausgelöst, insbesondere in zwei Nicht-NATO-Ländern, die an Russland grenzen: Finnland und Schweden. Diese versuchen nun, ihre nationale Sicherheit zu gewährleisten, indem sie dem transatlantischen Bündnis beitreten. Da jedes Mitgliedsland der NATO über ein gleiches Vetorecht bei Entscheidungen verfügt, hat Türkiye deutlich gemacht, die NATO-Bewerbungen beider Länder in der derzeitigen Konstellation nicht mitzutragen.
Die Grande Dame des Terroristenverstehens: Amineh Kakabaveh
Zwar lehnt Türkiye die Erweiterung der NATO oder den Beitritt beider Länder zum transatlantischen Bündnis nicht kategorisch ab. Allerdings fordert Ankara, dass beide Länder ihre Verbindungen zur PKK – die von Türkiye, der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird – und den ihr angeschlossenen Organisationen kappen, da diese die nationale Sicherheit Ankaras aktiv untergraben.
Während Finnland aufgrund der gleichzeitigen Bewerbung um die NATO-Mitgliedschaft ebenso wie Schweden in diese Diskussion verwickelt ist, scheint Schweden sein Nachbarland in Bezug auf das Ausmaß der Duldung, Beherbergung und sogar Kollaboration mit der Terrororganisation weit zu übertreffen.
Ein zentraler Name inmitten dieser Debatten über Schweden und Finnland ist jener der Abgeordneten Amineh Kakabaveh. Sie ist eine der Symbol- und Schlüsselfiguren für die Robustheit der Beziehungen zwischen der politischen Klasse des NATO-Beitrittsaspiranten und der PKK, die seit den 1980er Jahren für den Verlust von fast 40.000 Menschenleben infolge ihres Terrorkrieges gegen den türkischen Staat verantwortlich ist.
Kakabaveh ist seit ihrem Ausschluss aus der Linkspartei 2019 als unabhängiges Mitglied im Reichstag, dem nationalen Parlament Schwedens, tätig. Sie wurde aus der Partei ausgeschlossen, da sie das Vertrauen der Partei durch ihre antimuslimischen Ansichten und Handlungen „ernsthaft beschädigt“ hatte – so die Begründung.
Kakabaveh ist jedoch bereits seit 2008 Parlamentsabgeordnete und hat sich in der Vergangenheit gezielt und nachhaltig dafür eingesetzt, die schwedische Politik in Richtung einer deutlich positiveren Haltung gegenüber der PKK zu beeinflussen.
Regierung lässt sich von PKK-Sprachrohr tolerieren
So forderte sie in einer parlamentarischen Initiative 2016 die politischen Entscheidungsträger auf, darauf hinzuwirken, dass die PKK von der EU-Liste der terroristischen Organisationen gestrichen wird.
Erst Anfang des Jahres bedrängte Kakabaveh das schwedische Außenministerium, die grenzüberschreitenden Militäroperationen von Türkiye gegen die YPG/PKK in Nordsyrien und Nordirak bei der EU und den Vereinten Nationen zur Sprache zu bringen. Sie forderte das Ministerium außerdem auf, sich dafür einzusetzen, dass sich Türkiye aus den Gebieten in Nordsyrien wieder zurückzieht, die das Land eben erst von der YPG/PKK befreit hatte.
Der auffälligste Akt in dieser Hinsicht war jedoch, dass sie die Unterstützung Schwedens für die PKK/YPG zur Bedingung für die Billigung der Regierungsbildung unter Ministerpräsidentin Magdalena Andersson machte.
Mit anderen Worten: Ihre Pro-YPG/PKK-Linie hat ihr die begehrte „Königsmacher“-Rolle im schwierigen jüngsten Regierungsbildungsprozess in Schweden gesichert. Nur dank der unerschütterlichen Stimmen des Pro-PKK-Netzwerks in Schweden konnte Kakabaveh einen Sitz im Reichstag erhalten – aber Ministerpräsidentin Magdalena Andersson ist mit ihrer Minderheitsregierung unter anderem auch auf Stimmen wie jene des PKK-Sprachrohrs im Parlament angewiesen.
Damit erhielt Kakabaveh die Möglichkeit, über ihre politische Randposition hinauszugehen und die schwedische Innen- und Außenpolitik mitzubestimmen. Wenn man bedenkt, wie weit es Kakabaveh in ihrer politischen Karriere mit ihrer Unterstützung für die PKK gebracht hat, hat sie guten Grund, die Organisation zu unterstützen. Gleiches kann jedoch nicht für Schweden insgesamt gesagt werden.
Eine lange Geschichte von Beziehungen
Wäre Kakabaveh die einzige Kraft, die in dem Land eine der PKK wohlgesonnene politische Atmosphäre schafft, hätte Schweden angesichts der heiklen Situation mit Blick auf die NATO notfalls kurzfristig Maßnahmen ergreifen können, um ihren Einfluss zu begrenzen.
Die nicht tragbaren Beziehungen Schwedens zu der Terrororganisation sind jedoch systembedingt und gehen sowohl über Kakabaveh selbst als auch über deren Präsenz im Reichstag hinaus.
Kakabaveh kam 1991 als Flüchtling ins Land und sicherte sich 2008 einen Platz im Reichstag (Riksdag). Die äußerst tolerante Politik Schwedens gegenüber der PKK hat jedoch noch eine deutlich längere Geschichte.
Seit der Ermordung des schwedischen Premierministers Olof Palme 1986, der die PKK als terroristische Organisation einstufte und versuchte, ihre Aktivitäten im Land zu unterbinden, hat die PKK ihre Aktivitäten und organisatorischen Kapazitäten dank eines allzu freizügigen Umfelds im Land schrittweise und stetig ausgebaut.
Heute ist die PKK mit ihrer Mittelbeschaffung, Rekrutierung, weit verbreiteten Propaganda und einer beachtlichen Anhängerschaft eine starke Kraft, mit der in Stockholm gerechnet werden muss. Selbst die etablierte Politik ist nicht in der Lage, der PKK die Huldigung zu verweigern. Die Sozialdemokratische Partei war diejenige politische Kraft, die Anderssons Ministerpräsidentschaft davon abhängig machte, dass Schweden die YPG/PKK aufgrund ihrer Vereinbarung mit Kakabaveh unterstützt.
Öffentliche Unterwerfungsgeste der Sozialdemokraten gegenüber der YPG/PKK
Führende Vertreter der Sozialdemokratischen Partei gaben dazu sogar eine gemeinsame öffentliche Erklärung mit Kakabaveh ab, in der sie zum Ausdruck brachten, wie sehr sie eine gemeinsame Vision mit der YPG/PKK in Bezug auf Syrien teilen, und versprachen, die Beziehungen Schwedens zur YPG/PKK zu vertiefen.
Wenn die Agenda der PKK aber die Regierung, den Ministerpräsidenten und die Außenpolitik eines Landes in diesem Maße beeinflusst, wäre es unrealistisch, eine entschiedene Haltung gegen sie oder PKK-freundliche Politiker zu erwarten.
So, wie die Dinge liegen, sind die Beziehungen Schwedens zur PKK ein Lehrbuchfall von Selbstverstrickung. Die jahrelange Nachsicht Stockholms gegenüber der PKK hat den Terroristen Einfluss auf die schwedische Politik verschafft.
Jetzt werden die nationalen Interessen Stockholms von den Launen und der engstirnigen Agenda der PKK und ihrer Drahtzieher wie Amineh Kakabaveh als Geisel genommen.
Stockholms Selbstgefälligkeit beruhte jahrelang darauf, dass die PKK ein Problem Türkiyes sei und keine direkte terroristische Bedrohung für Schweden darstelle. Diese Haltung erwies sich als kurzsichtig und unklug, denn Stockholm läuft nun Gefahr, seine nationale Sicherheit zu gefährden, indem es seine NATO-Mitgliedschaft aufs Spiel setzt.