„Islamische Theologie“ in Berlin mit fast 50 Prozent Abbrecherquote
Ist das Studienfach „Islamische Theologie“ an der Humboldt-Universität für alle interessant – außer die Muslime selbst? Medien berichten über eine hohe Abbrecherquote. Besonders häufig wechseln religiös sozialisierte Studierende das Fach.
Symbolbild: Hörsaal einer deutschen Universität (DPA)

Im Wintersemester 2019/20 hat das Institut für Islamische Theologie der Humboldt-Universität in Berlin seine Arbeit aufgenommen – und MdA Adrian Grasse (CDU) hat bei der Senatskanzlei Wissenschaft erste Zahlen über dessen Bilanz erfragt. Diese war, wie der „Tagesspiegel“ berichtet, durchwachsen: Von 359 Studentinnen und Studenten, die im ersten Fachsemester dort ein Studium aufgenommen hatten, hätten bereits 161 dieses vorzeitig abgebrochen – und damit 44,8 Prozent.

„Aus Familien mitgebrachte Erwartungen enttäuscht“

Dabei scheint es nicht so sehr das Fach selbst zu sein, das auf Desinteresse stoßen würde. Im Gegenteil: Für das auf zehn Plätze beschränkte Studium auf Grundschullehramt hätten sich im vergangenen Wintersemester 60 und für das aktuelle 74 Personen beworben. Allerdings entwickelt sich mit Fortdauer des Studiums das Interesse deutlich nach unten. Für den Kurs zur systematisch-islamischen Theologie im fünften Semester hätten sich nur noch sieben Studierende angemeldet.

Aufbau und Inhalte islamischer Theologie am Berliner Institut scheinen nicht immer das zu halten, was sich bildungshungrige Musliminnen und Muslime an den Universitäten davon versprechen. Mira Sievers, Juniorprofessorin für „Islamische Glaubensgrundlagen, Philosophie und Ethik“, beschreibt dies in ihren eigenen Worten mit dem „typischen Ausbildungserlebnis in Islamischer Theologie“, das ihr „sehr vertraut“ sei.

Demnach müssten sich „junge Frauen und Männer, die religiös sozialisiert sind und ein hohes Interesse an Religion mitbringen“, erst einmal „an die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Islam gewöhnen“. Ein Teil sehe dann „die aus Familie, Freundeskreis und Moschee mitgebrachten Erwartungen enttäuscht“ und wende sich schnell anderen Fächern zu. Der Schwerpunkt der Berliner Islam-Theologie liege, so Sievers, „auf ethischen und rechtlichen Fragen und auf Genderbezügen“.

Eurozentrische Islamkunde unter dem Banner der Theologie?

Bereits im Vorfeld der Einrichtung des Instituts hatte es Bedenken bei Islamverbänden und auch Studierenden selbst über Konzeption und Lehrprogramm des Islam-Instituts gegeben. Ähnlich wie im Fall der Querelen rund um die Einrichtung des „Zentrums für Islamische Theologie“ (ZIT) in Münster befürchtete man dort, eurozentrische und orientalistische Betrachtungsweisen könnten die Sicht auf den Islam prägen – und unter dem Banner der Theologie eine bekenntnisfreie Islamwissenschaft nach westlichen Wertmaßstäben betreiben.

Michael Borgolte, jener Professor für Mittelalterliche Geschichte, der als „Vater“ des Islam-Instituts an der Humboldt-Universität gilt, hatte noch 2016 in der „Welt“ zwar den Beitrag muslimischer Gelehrter des Mittelalters zur Wissensvermittlung gewürdigt, die den späteren Aufstieg des Westens möglich gemacht hätte. Dennoch sei das „Wissen der Griechen“ für ihn der eigentlich relevante Faktor zur Entwicklung hochstehender Wissenschaft und Kultur – und da hätten „die lateinischen Christen [...] aus den ihnen zugekommenen geistigen Gütern mehr gemacht als Muslime und auch griechische Christen“. Der Islam habe „keine gleichartige und -wertige Forschungskultur entwickelt“.

Staatsislam als großes Assimilationsprojekt

Dass die islamische Theologie an Hochschulen einer Verwestlichung und „Liberalisierung“ des Islam in Deutschland dienen sollte, hatte auch der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel bereits 2015 in einem Beitrag für den „Tagesspiegel“ offen als Ziel ausgegeben.

Um einen „modernen Islam“ zu schaffen, so schrieb Gabriel damals, sei es erforderlich, dass eine „Liberalisierung des Islam an deutschen Schulen und Hochschulen und in den hiesigen Gemeinden gelehrt und gelernt werden muss“. Entscheidende Voraussetzung einer solchen sei „die Akzeptanz dafür, dass der Islam wie jede andere Religion oder Weltanschauung ganz selbstverständlich Gegenstand von Kritik und Selbstkritik ist“.

Erst vor zwei Jahren gab es auch Unterstützung aus Union und SPD für den Vorschlag der umstrittenen und in der muslimischen Gemeinde nur mit wenig Rückhalt ausgestatteten Gründerin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, der Anwältin Seyran Ates. Diese hatte gefordert, der Finanzierung und Führung islamischer Gemeinden aus dem Ausland durch die Erhebung einer Moschee-Abgabe gegenzusteuern.

Die daraus gewonnenen Mittel sollten in den Aufbau von Gemeinden fließen, die liberale und säkularistische Werte im Sinne der Mehrheitsgesellschaft forcierten. Das eigene Projekt von Ates kommt auch im vierten Jahr ihres Bestehens bislang nicht über eine dreistellige Mitgliederzahl hinaus.

Interessierte kommen mit Intention, den Glauben zu stärken

Auf Nachfrage von TRT Deutsch warnt der Religionspädagoge Mehmet Tellioğlu, der über mehrere Jahre in Frankfurt am Main studiert hatte, allerdings auch vor einem generellen Misstrauen gegenüber den Studienangeboten für islamische Studien, Theologie oder Islamwissenschaften, die es mittlerweile auch in Osnabrück, Münster, Tübingen und Berlin gibt.

Anders als in besonders konkreten Fächern wie Medizin oder Mathematik würden in geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen studienspezifische Grundlagen angeboten und Methoden gelehrt, sich in dem Fach weiterzubilden. Deutung und Interpretation komme dabei ein höherer Stellenwert zu.

„Wenn man von islamischer Theologie spricht, ist die Erwartung vieler Studierenden auf klassisch-traditionelle Lehre hoch, dass u. a. die Haltung einer Predigt (Hutba), Leitung des Gebets etc. gelehrt werden sollte“, erläutert Tellioğlu die Motivation vieler Neuzugänge. „Damit einhergehend ist auch die Hoffnung parat, mit diesem Wissen gegenüber den Muslimen und Mitmenschen nützlich zu sein und somit den Glauben zu stärken.“

Traditionsverbundenheit „keine Bedingung für Lehrbefugnis“

Spätestens in den ersten Wochen erlebten Studierende jedoch eine große Enttäuschung, sobald sie erkannten, dass der Studiengang rein wissenschaftlich und „trocken“ aufgebaut sei. Der angebotene Inhalt wiederum sei für viele fragwürdig, da „gegebenenfalls die Ansichten der Dozenten nicht mit dem bisher gekannten Klassischen übereinstimmen“.

Das Lehrpersonal sei „für viele zu liberal und weit weg von der Tradition“ – und eine Verbundenheit mit dieser sei auch keine Bedingung, um an einem Islam-Institut lehren zu können. Eine Verallgemeinerung diesbezüglich wäre jedoch falsch, da nicht alle Professoren und Dozenten gleiche Ansichten verträten. „Somit könnte man eigentlich behaupten, dass beide Richtungen - traditionell und säkularistisch – aufeinandertreffen“, erläutert Tellioğlu.

Angeboten würden auch praxisbezogene Seminare. Allerdings seien auch die Berufsaussichten mit einem akademischen Abschluss an einem Islam-Institut begrenzt. In Summe schnupperten viele Studierende erst einmal in den Studiengang und entschieden sich dann für oder gegen diesen.

TRT Deutsch