Nach der Zurückhaltung in der Corona-Krise will die IG Metall angesichts rekordverdächtiger Inflation ein deutliches Lohnplus für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie. Der IG-Metall-Vorstand empfahl am Montag eine Forderung von 7 bis 8 Prozent mehr Geld für die Tarifrunde. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann mahnte zugleich weitere staatliche Entlastungen der Menschen an. „Wir haben mit dieser Forderung auch klar signalisiert, dass wir über Tarifpolitik nicht den kompletten Inflationsdruck, der auf den Haushalten lastet, alleine ausgleichen könnten.“
Die Empfehlung ist noch nicht die endgültige Forderung. Diese wird am 30. Juni in den regionalen Tarifkommissionen diskutiert. „Wir wollen keine Scheinbeteiligung, indem wir heute eine feste Zahl setzen, sondern wir haben bewusst den Tarifkommissionen noch mal die Gelegenheit gegeben, darüber zu reden, was richtig ist“, sagte Hofmann. Sollten dabei unterschiedliche Ergebnisse herauskommen, sei es die Verantwortung des Gewerkschaftsvorstandes, auf Basis dessen eine konkrete Forderung festzulegen. Am 11. Juli will der Vorstand die endgültige bundeseinheitliche Forderung beschließen. Die Gewerkschaft peilt eine Laufzeit von zwölf Monaten an.
Produktion in Automobilbranche eingebrochen
Zur Begründung für die Empfehlung zieht die IG Metall unter anderem die konjunkturelle Lage der Branche heran. Demnach waren laut einer Umfrage unter den Betriebsräten im vergangenen Jahr im Schnitt über die gesamte Industrie hinweg deutliche Umsatz- und Produktivitätszuwächse zu verzeichnen. Gleichwohl sah die Lage laut IG Metall je nach Sparte sehr unterschiedlich aus. So ging beispielsweise die Produktion in der Automobilindustrie deutlich um sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück, während sie im Maschinenbau zulegte.
Es ist die höchste Forderung der IG Metall für die Metall- und Elektroindustrie seit dem Jahr 2008. Damals hatte die größte deutsche Einzelgewerkschaft 8,0 Prozent mehr Geld gefordert. Hofmann widersprach der Darstellung, die Forderung könnte eine Lohn-Preis-Spirale auslösen, bei der sich Löhne und Preise gegenseitig hochschaukeln. Es gehe vielmehr auch darum, die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger für den privaten Konsum als derzeit einzig erkennbare Quelle des Wirtschaftswachstums zu erhalten. Breche der private Konsum ein, könnte eine Rezession drohen.
Arbeitgeberverband wirft IG Metall Verantwortungslosigkeit vor
Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, warf der IG Metall vor, „die Lage in der Metall- und Elektro-Industrie schönzureden.“ Das sei verantwortungslos. Derzeit müssten 94 Prozent aller Mitgliedsunternehmen massive Kostensteigerungen verkraften, und gerade einmal ein Prozent der Firmen der Metall- und Elektroindustrie sei in der Lage, die Kostensteigerungen durch Preiserhöhungen vollständig an die Kunden weiterzugeben. „Ein Fünftel sieht angesichts der Entwicklungen sogar eine wirtschaftliche Gefährdung des eigenen Unternehmens.“ Sich an vielleicht Hundert Unternehmen zu orientieren, denen es besonders gut gehe, werde der komplizierten Lage nicht gerecht.
Die Verträge für die Beschäftigten in den Kernbranchen der deutschen Industrie, zu denen unter anderem der Fahrzeugbau und der Maschinenbau zählen, laufen Ende September aus. Hofmann hofft, dass die Verhandlungen im November abgeschlossen werden können, wenn alles gut läuft. Warnstreiks sind nach Ablauf der Friedenspflichten vom 29. Oktober an möglich.
Weitere Entlastungen notwendig
Hofmann mahnte weitere staatliche Entlastungen angesichts der rasant gestiegenen Inflation an. Dazu zählt er ein drittes Entlastungspaket für 2023. Zudem fordert er einen Gaspreisdeckel, um den normalen Haushaltsverbrauch zu sichern, und eine Senkung des Strompreises. Auch eine Übergewinnsteuer befürwortet Hofmann, die zuletzt insbesondere mit Blick auf die hohen Gewinne der Mineralölkonzerne diskutiert wurde.
Kräftige Preissteigerungen für Energie und Lebensmittel hatten die Teuerungsrate in Deutschland im Mai auf 7,9 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit fast 50 Jahren getrieben. Die Bundesbank erwartet für das Gesamtjahr eine Teuerungsrate von 7,1 Prozent gemessen am sogenannten harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI).
21 Juni 2022
dpa
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