Seit dem Treffen zwischen dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und den EU-Spitzen am Dienstag steht ein Wort im Zentrum der Diskussionen in den sozialen Medien: Sofagate. Laut Berichten der französischen „L’Opinion“ und des „Spiegels“ vom Freitag ist die eigentliche Ursache der Sitzordnungs-Krise eine Machtkonkurrenz zwischen Charles Michel und Ursula von der Leyen. Die türkische Seite habe sogar einen weiteren Affront im letzten Moment verhindern können.
Anlass für die aktuelle Debatte war die Sitzordnung beim Türkei-Besuch der EU-Spitzen. Am Dienstag musste die Kommissionspräsidentin von der Leyen in Ankara auf dem Sofa sitzen, während Ratspräsident Michel auf dem Sessel neben Präsident Erdoğan sitzen durfte. Laut dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hielt sich Ankara dabei an das Protokoll, das von Vertretern beider Seiten ausgearbeitet worden war. Behauptungen bezüglich einer Düpierung von der Leyens seitens der Türkei lehnte er entschieden ab.
Medienberichte, die die eigentliche Ursache der politischen Krise darlegen und die Schilderung Ankaras bekräftigen, häufen sich. „L’Opinion“ spricht von einer „Rivalität zwischen der Kommissionspräsidentin und ihrem Ratskollegen“, bei der die Türken lediglich Zuschauer und keine Akteure gewesen sein sollen. Demnach war Michels Team, das sich um das Protokoll kümmerte, verantwortlich für das Debakel. Denn die Beziehung zwischen den EU-Spitzen sei „abscheulich“. Dabei kritisierte „L’Opinion“ auch französische Medien, die Ankara gegenüber „feindlich gesinnt“ seien und es nicht versäumt hätten, das sogenannte Sofagate als eine angebliche Demütigung durch die Türkei darzustellen. Laut der französischen Tageszeitung ist die Rolle der Türkei beim Sofagate ganz klar: Der Gastgeber sei „Kollateralopfer der kleinlichen Streitereien in Brüssel“.
Nach dem französischen Republikaner Arnaud Danjean ist der „permanente Krieg“ zwischen den EU-Spitzen kein Geheimnis. Auch ihre Teams seien in die internen Auseinandersetzungen verwickelt. „Sie sind zwei Persönlichkeiten mit fragiler Legitimität, die versuchen, sich durchzusetzen“, zitierte die Tageszeitung den Politiker.
„L’Opinion“ zufolge versucht von der Leyen, sich in Brüssel zu behaupten, indem sie die „mediale und internationale Karte“ spielt. Doch ihr stehe ein Belgier im Weg: Ratspräsident Michel. Es wird zudem darauf hingewiesen, dass die Schilderungen der türkischen Seite zur Sitzordnung von der EU bisher nicht dementiert wurden.
Im Streit um die Hierarchie in der EU hatte Jean-Claude Juncker zuletzt in einem Telefoninterview mit „Politico“ betont, dass der Ratspräsident protokollarisch die wichtigste Person in der EU sei – die Kommissionspräsidentin sei die Nummer zwei. Bei seinen Reisen mit Donald Tusk oder Herman Van Rompuy habe er normalerweise einen Stuhl neben dem des Ratspräsidenten gehabt. Es sei jedoch auch vorgekommen, dass er manchmal auf dem Sofa habe sitzen müssen.
Türkei soll weiteren Affront zwischen EU-Spitzen verhindert haben
Auch der „Spiegel“ stellt die Konkurrenz zwischen Michel und von der Leyen als die eigentliche Ursache des Sofagate dar. Ankara habe sogar einen weiteren Affront im letzten Moment verhindert, wie es im Lager der Kommissionspräsidenten heißen soll. Für das Abendessen mit Präsident Erdoğan sei lediglich für Michel ein erhöhter Stuhl geplant gewesen. Dem „Spiegel“ zufolge bemerkte ein Kommissionsberater diesen Umstand und die Türken reagierten „prompt“, indem sie von der Leyen auf Augenhöhe mit den beiden Männern hievten.
Von der Leyens Umfeld kritisiert laut „Spiegel“, Michels Leute hätten genau gewusst, „was passieren könnte“. Dabei handele es sich nicht um den ersten Vorfall zwischen den beiden Teams.
Eine Fotocollage, die das Team von Michel nach dem EU-Gipfel Ende März veröffentlicht habe, wird als eine weitere Manifestation des Machtkampfes zwischen den beiden EU-Spitzen bewertet. Alle Staats- und Regierungschefs seien mit Michel auf der Collage zu sehen, nur eine Teilnehmerin nicht: von der Leyen.