von Ali Özkök
Erst im März übergab die Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, Katarina Niewiedzial, zusammen mit Vertretern mehrerer Organisationen wie des Arbeitskreises Sinti und Roma, des Jugendmigrationsbeirats Berlin oder des Islamforums Berlin eine Resolution an die Spitzen der Regierungsfraktionen, die von 131 Migrantenorganisationen und Vereinen mitgetragen wurde.
Darin wurde die Einsetzung einer Enquete-Kommission im Berliner Abgeordnetenhaus zur Bekämpfung von strukturellem Rassismus im Land Berlin gefordert.
Im Gespräch mit TRT Deutsch erläutert Niewidzal, was es mit diesem Ansinnen konkret auf sich hat und was die Initiatoren damit erreichen wollen.
Es ist jetzt knapp drei Monate her, seit Sie die „Resolution gegen strukturellen Rassismus“ an die Fraktionsspitzen der Berliner Regierungsfraktionen übergeben haben. Haben Sie den Eindruck, dass sich seither etwas im Sinne der Initiatoren zum Positiven verändert hat?
Die vielen Vereine und Migrantenorganisationen haben der Forderung zur Einsetzung einer Enquete-Kommission mit ihren Unterschriften eine breite Basis gegeben. Auch die aktuellen Fraktionsspitzen der Regierungskoalition haben sich dahinter gestellt. So findet sich die Forderung auch in einigen Parteiprogrammen wieder. Wir stehen wenige Monate vor der Landtagswahl. Es war von Beginn an klar, dass eine solche Kommission erst in der nächsten Legislaturperiode vom neu gewählten Parlament eingesetzt werden kann. Das Ziel muss sein, dass die Enquete-Kommission im Koalitionsvertrag vereinbart wird.
Was könnte eine Enquete-Kommission, wie sie von Ihnen und den unterstützenden Institutionen angeregt wird, konkret bewirken, um strukturellem Rassismus entgegenzuwirken? Vor allem: Was könnte eine solche Einrichtung schaffen, was Gesetzgebung, Exekutive, Justiz oder Institutionen wie der Antidiskriminierungsstelle nicht gelingt?
Zunächst einmal: Alle Formen von Rassismus müssen bekämpft werden. Eine Enquete-Kommission, wie ich sie fordere, wird sich vor allem mit den Mechanismen des institutionellen Rassismus auseinandersetzen. Seine Auswirkungen sind nicht unbedingt auf individuelle rassistische Absichten zurückzuführen. Es sind Gewohnheiten, Routinen oder Auslegungen von Gesetzen, die diese Diskriminierung erzeugen. Zum Teil fällt dies den Handelnden selbst gar nicht auf.
Eine Enquete-Kommission wird sich bestenfalls alle Bereiche staatlichen Handelns ansehen. Eingeübte Mechanismen werden hinterfragt, um die automatische Reproduktion von diskriminierendem und rassistischem Handeln zu stoppen. Eine vom Parlament eingesetzte Enquete-Kommission zum Thema gab es bislang nur in Thüringen. Das dortige Parlament hat in der Folge konkrete Maßnahmen in den Bereichen Bildung und Inneres beschlossen. Das Beispiel zeigt: Die Enquete-Kommission ist durchaus ein starkes Instrument, um Strukturen langfristig und nachhaltig zu verändern.
In Ihrer Resolution gehen Sie auf den Anschlag von Hanau ein, stellen ihn in einen Kontext mit weiteren rassistischen Vorfällen, die in ganz Deutschland und darüber hinaus Aufsehen erregt hatten, und gehen auf rassistische Übergriffe auch in Berlin ein. Ist diese Aussage eine Anspielung auf konkrete Fälle?
Hanau stellt eine Zäsur dar. Neun Menschen mit Migrationsgeschichte wurden rassistisch motiviert ermordet. Das Vorgehen der staatlichen Ermittlungsbehörden und die Fehler, die durch staatliche Institutionen gemacht wurden, werden in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert. Im Jahr 2020 wurden in Berlin 3822 rassistisch, antisemitisch, antimuslimisch und antiziganistisch motivierte Vorfälle erfasst – das ist ein Höchststand. In 126 Fällen liegt strukturell begründeter Rassismus vor. Und wir müssen bedenken, dass vieles erst gar nicht zur Anzeige gebracht wird.
Die Resolution verurteilt Delegitimierung der Ansprüche und Rechte von Rassismus betroffener Menschen, „sei es auf Grund ihrer Hautfarbe, ihres Kopftuchs, ihrer Kippa, ihrer Herkunft oder ihres Namens“. Wie groß ist da das Vertrauen in eine Koalition, die alles daransetzt, um ihr Kopftuchverbot unter dem Banner des „Neutralitätsgesetzes“ aufrechtzuerhalten?
Der rot-rot-grüne Senat hat in diesem Bereich viel auf den Weg gebracht. Berlin hat als erstes Bundesland ein Antidiskriminierungsgesetz (LADG) erlassen. Vor wenigen Tagen wurde zudem ein neues Partizipationsgesetz verabschiedet, das Menschen mit Migrationsgeschichte Türen öffnet, sie zur Mitarbeit im öffentlichen Dienst einlädt und ihnen Teilhabe auf verschiedenen Ebenen zusichert. Darauf kann Berlin stolz sein. Beide Gesetze gehören zusammen: Während das LADG Schutz in den Mittelpunkt stellt, dient das Partizipationsgesetz der Ermächtigung von Menschen mit Migrationsgeschichte und der Förderung ihrer Repräsentanz im öffentlichen Dienst.
Ist „struktureller Rassismus“ überhaupt ein Problem, das sich mit den Mitteln der Politik lösen lässt? Kommt es nicht viel eher darauf an, im eigenen Umfeld und Alltag durch Vorbild und Praxis Ressentiments und Vorurteilen entgegenzuwirken?
Diese beiden Ansätze schließen sich doch nicht aus. Selbstverständlich ist struktureller Rassismus ein Problem, das mit den Mitteln der Politik angegangen werden muss. Politik und Staat haben die Mittel, um Strukturen nachhaltig zu verändern - und sie haben eine Vorbildfunktion. Aber auch jeder und jede Einzelne von uns ist gefragt, Zivilcourage zu zeigen und sich im eigenen Umfeld gegen Diskriminierung und Rassismus zu stellen. Es geht darum, dass wir gemeinsam ein gesellschaftliches Klima schaffen, in dem Menschen mutig die Stimme erheben, wenn sie ein solches Unrecht wahrnehmen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Struktureller Rassismus: „Zum Teil fällt dies Handelnden gar nicht auf“
2 Juli 2021
Die Beauftragte für Integration und Migration des Berliner Senats, Katarina Niewiedzial, will erreichen, dass dieser den strukturellen Rassismus in der Stadt zu einem Schwerpunktthema macht. Erst im März gab es dazu eine Resolution.
TRT Deutsch
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